Unfall am Zebrastreifen:Unerklärlicher Blackout

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Amtsgericht verurteilt 62-Jährigen wegen fahrlässiger Körperverletzung im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe

Von Renate Zauscher, Dachau

"Ich hab' sie nicht gesehen - mehr kann ich dazu ganz einfach nicht sagen." Für den Angeklagten, der wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Körperverletzung im Amtsgericht Dachau vor Richter Christian Calame sitzt, ist der Hergang des Geschehens offenbar nach wie vor nicht nachvollziehbar: Er wisse ganz einfach nicht, wie es dazu gekommen sei, wiederholt er immer wieder.

Fest steht immerhin: Der seit seiner Kindheit in Dachau lebende 62-jährige Mann hat im April dieses Jahres mit seinem Pkw eine Fußgängerin verletzt, die im Begriff war, auf einem Zebrastreifen die Straße zu überqueren. Die bei der Gerichtsverhandlung anwesende ältere Dame hatte bei dem Unfall einen Bänderriss und verschiedene Prellungen an Knie und Kopf erlitten und musste im Krankenhaus behandelt werden. Schon auf dem Flur hatte der Mann vor der Verhandlung der beim Unfall verletzten Frau mehrfach versichert, wie sehr er die Sache bedauere. Unfallverursacher und -opfer standen sich offensichtlich nicht als Kontrahenten, sondern mit viel Verständnis für die Situation des jeweils anderen gegenüber.

Die Fragen des Richters zum Unfallhergang zielten zunächst auf die Geschwindigkeit, mit der das Auto des Unfallverursachers auf den Zebrastreifen zugefahren war: "Nicht mehr als 20", beteuerte der Fahrer, der eben erst seine Tochter nach Hause gebracht hatte und seiner Aussage nach erst langsam wieder angefahren war. Ohnehin gelte in dem Dachauer Wohnbereich, in dem sich der Unfall ereignet hatte, eine Beschränkung auf 30 Stundenkilometer.

Richter Calame fragte gezielt weiter nach: Wie könne es sein, dass man einen Fußgänger, der sich bereits in der Mitte des Zebrastreifens befand, einfach übersehen könne? "Waren Sie abgelenkt? Hatten Sie vielleicht am Handy gespielt oder am Radio gedreht? Oder einfach woanders hingeschaut?" Nichts von alledem, erklärte der Beschuldigte. Die Dame habe sich urplötzlich auf der linken Seite des Pkw befunden und zu seinem Schrecken - "ich war total geschockt" - am Außenspiegel des Autos festgehalten.

"Das kann ich Ihnen jetzt glauben oder auch nicht", sagte dazu Christian Calame und betonte, dass am Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung nicht zu rütteln sei. Das einzige, was er tun könne, sei die Höhe der im ursprünglich erlassenen Strafbefehl festgelegten 40 Tagessätze zu je 40 Euro zu reduzieren. Der Unfallverursacher hatte gegen den Strafbefehl Widerspruch eingelegt, weshalb es überhaupt erst zur Hauptverhandlung gekommen war. Am ebenfalls ausgesprochenen einmonatigen Fahrverbot allerdings müsse er festhalten werden, erklärte Calame. Schließlich stehe fest, dass der Pkw-Fahrer "irgendetwas falsch gemacht hat". An einem Fußgängerübergang müsse schließlich grundsätzlich mit erhöhter Aufmerksamkeit gefahren werden. "Vom Tatvorwurf der fahrlässigen Körperverletzung kommen Sie nicht weg." Angesichts der vergleichsweise geringen Einkünfte des Mannes, der bei einer Sicherheitsfirma arbeitet und seit vierzig Jahren unfallfrei Auto gefahren ist, hielt der Richter eine Reduzierung der Tagessätze auf 30 Euro für angemessen. Für den Angeklagten stellt dies immer noch eine beträchtliche Summe dar, zumal er auch die Gerichtskosten übernehmen muss.

Staatsanwältin Hannah Stoffer erklärte sich mit der Reduzierung der Tagessätze einverstanden. Auf Anraten des Richters nahm der Beklagte seinen Widerspruch gegen das Fahrverbot zurück. Auf die Anhörung der geladenen Zeugen wurde verzichtet, da der Hergang des Unfalls im wesentlich klar war.

Das Urteil von Richter Christian Calame nahm der 62-Jährige widerspruchslos an, auf ein Schlusswort verzichtete er. Seinen Führerschein musste der Mann allerdings noch an Ort und Stelle abgeben. Für das einmonatige Fahrverbot werde er Urlaub nehmen müssen, erklärte er, da er als Schichtarbeiter mit nächtlichen Arbeitszeiten nicht auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen könne.

© SZ vom 10.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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