Umwelt:"In der Natur gibt es keine horizontalen Hindernisse"

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Thomas Rödl vom Landesbund für Vogelschutz erklärt, warum Windkraftanlagen für den Bussard so gefährlich sind

Interview von Thomas Radlmaier, Dachau

Vögel sind Akrobaten der Lüfte. Die Jäger unter ihnen stürzen sich aus luftigen Höhen zu Boden, um ihre Beute zu erlegen. Andere weichen mit geschickten Manövern Hindernissen aus. Doch steht ein Windrad in der Landschaft, werden Vögel plötzlich zu Bruchpiloten. Sie geraten immer wieder gefährlich nah an die Rotorblätter. Doch warum erkennen Vögel die Windräder nicht als Gefahr? Thomas Rödl, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Artenschutzreferat des Landesbund für Vogelschutz, klärt auf.

SZ: Herr Rödl, wieso sind Windräder eine Gefahr für Vögel?

Thomas Rödl: Die Windräder erschlagen die Vögel. Ein Grund ist vermutlich, dass sich die Räder so schnell drehen, dass die Tiere die Abstände nicht richtig einschätzen können. Die Tiere fliegen zu nahe an die Rotoren heran. Die Rotorblätter verletzten die Vögel schwer, sie können etwa Flügel abtrennen. Der Schlag ist meistens so heftig, dass die Tiere unmittelbar sterben. Der Vogel fällt dann schlicht und einfach tot vom Himmel. Grundsätzlich kann man sagen: Je größer das Windrad, desto größer ist der Raum, in dem Vögel erschlagen werden können. Es gibt aber auch Arten wie zum Beispiel das Auerhuhn, deren natürliches Habitat durch das Windrad beeinträchtigt wird. Der Betrieb - zum Beispiel die Geräusche und der Schattenwurf - stören das Auerhuhn. Dadurch meidet es die Nähe des Windrades oft.

Warum fliegen die Vögel nicht einfach um das Windrad herum?

Ich vermute, weil ein Flughindernis wie ein Windrad in der Natur nicht vorkommt. Es gibt dazu noch keine Studienergebnisse. Forscher haben aber bereits das Verhalten von Wildgänsen untersucht, wenn sie auf eine Hochspannungsleitung zufliegen. Sie fanden heraus, dass die Gänse zunächst unmittelbar darauf zu steuern und erst im letzten Moment völlig hektisch ausweichen. Als Grund für dieses Verhalten ist zu vermuten, dass es keine horizontalen Hindernisse in der Natur gibt. Die Vögel erkennen einen Baum, der vertikal nach oben geht, als Hindernis aber keine Leitung die quer in der Luft liegt. Bei den Rotoren von Windrädern muss man Ähnliches annehmen. Wäre zwischen den Rotorblättern eine Wand, würden die Vögel ausweichen. So unterschätzen sie die Abstände und damit die Gefahr.

Aber warum geht es dann bei öffentlichen Debatten immer um den Wespenbussard, Rotmilan und Schwarzstorch? Warum ist zum Beispiel der Mäusebussard nicht so gefährdet?

Das stimmt nicht. Es gibt neueste Untersuchungen. Demnach ist der Mäusebussard - zumindest im norddeutschen Tiefland - stärker von Windrädern betroffen, als man dachte. Der Wespenbussard ist die seltenere Art und spielt deshalb in der öffentlichen Wahrnehmung eine größere Rolle. Doch die Frage, was ist die wichtigere Art, der Wespen- oder der Mäusebussard, lässt sich nicht beantworten. Bei der staatlichen Vogelschutzwarte Brandenburg gibt es eine Schlagopferdatenbank. Die Daten zeigen, dass Windräder für alle Greifvögel eine Gefahr darstellen. Ganz oben auf der Opferliste stehen die Rotmilane. Bei dieser Art hat der Staat eine besondere Verantwortung. Denn mehr als die Hälfte des weltweiten Bestandes kommt in Deutschland vor. Ob ein Windrad gebaut werden kann, hängt aber immer vom Einzelfall ab. Hier greift die Vogelschutzrichtlinie der Europäischen Union. Demnach muss geprüft werden, ob eine lokale Population durch eine solche Maßnahme in ihrem Bestand beeinträchtigt sein könnte.

Aber es ist doch so, dass viel mehr Vögel durch den Verkehr auf den Straßen sterben, als von Windrädern überfahren werden.

Der Vergleich hinkt. Denn Rotmilane sterben in der Regel nicht, weil sie von einem Auto überfahren werden. Sie halten sich eher am Waldrand auf und holen ihre Beute auf Feldern, etwa dort, wo der Bauer mit dem Traktor gerade gemäht hat. Auf dem Weg zum Horst fliegen sie zu hoch, als dass sie von einem Auto erwischt werden könnten. Die Windräder sind dagegen eher in ihrer Flughöhe. Ähnlich ist es beim Schwarzstorch. Er hat sein Nest oben in einer Baumkrone und flieg daher oft über Wälder. Aufgrund der 10-H-Abstandsregel sind in Bayern größere Wälder fast noch die einzigen Gebiete, wo man ein Windrad bauen darf. Doch dort kann es dem Schwarzstorch in die Quere kommen.

© SZ vom 05.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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