Ukraine-Hilfe in Dachau:Friedensengel aus der Ferne

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Die Exil-Ukrainerinnen Oksana Bonauer-Morel (sitzend) und ihre Helferinnen. Von links: Julia Katanova , Viktoriya Lguynska und Oksana Romanenko. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Sie sammeln Spenden, organisieren Busse für Flüchtlinge und fahren immer wieder an die Grenze, um Hilfsgüter zu liefern: Die Ukraine-Helfer aus dem Landkreis erbringen Höchstleistungen. Hauptkoordinatorin ist die Dachauerin Oksana Bonauer-Morel.

Von Anna Schwarz, Dachau

Auf ihrem Smartphone wischt sie über die Fotos aus den letzten Tagen vor dem Krieg: Die Dachauerin Oksana Bonauer-Morel war selbst noch bis zum 22. Februar in Kiew. Sie zeigt Jugendstilhäuser mit goldenen Verzierungen, ein Video mit einem Straßenmusiker, der das ukrainische Nationalinstrument Kobsa spielt, und ein Selfie vor dem Unabhängigkeitsdenkmal, das sie ihren Kindern zuhause geschickt hat: "Ich wollte ihnen damit zeigen: Habt keine Angst um mich, hier ist alles friedlich." Doch alles änderte sich. Sie musste spontan abreisen, zwei Tage danach begann Putins Angriffskrieg auf die Ukraine.

An einem Vormittag Mitte März sitzt Oksana Bonauer-Morel an einem Tisch ihrer Jugend- und Kinderakademie im zweiten Stock des Dachauer AEZ - gemeinsam mit Oksana Romanenko, Viktoriya Laguynska und Julija Katonov. Ursprünglich stammen alle aus der Ukraine und sind im Landkreis heimisch geworden. Wegen des Kriegs haben sie eine Spendensammlung im AEZ auf die Beine gestellt, sie haben tagelang Spenden angenommen und sortiert. Mittlerweile bekommen Geflüchtete aus der Ukraine in dem Lager unter anderem Hygieneartikel, Kleidung, Lebensmittel, Medikamente oder Spielzeug.

Oksana Bonauer-Morel ist die Hauptkoordinatorin. In den vergangenen Wochen hat sie immer wieder Auto- oder Bustransporte organisiert, um die Hilfsgüter aus dem Landkreis direkt in das Kriegsland zu bringen und Flüchtlinge in Sicherheit zu bringen. Anfangs koordinierte sie das Ganze noch von zuhause aus, da sie zu allem Überfluss auch noch an Covid-19 erkrankt war. In den Vordergrund möchte sie sich aber nicht drängen, das sagt sie immer wieder, und verweist auf die anderen tatkräftigen Helfer.

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"Es ist Geschichte, die wir hier schreiben und die schreiben wir zusammen"

Sie trägt schwarze Lederjacke, schwarzes T-Shirt, schwarze Maske und hohe Schuhe, ihre hellblauen Augen leuchten. Das Smartphone liegt neben ihr auf dem Tisch. Sie wirkt etwas angespannt, immer wieder verlässt sie den Raum, um zu telefonieren oder checkt Nachrichten auf dem Handy. Mittlerweile sind etwa 150 Helfer in der WhatsApp-Gruppe: "Wir werden diesen Krieg gemeinsam bekämpfen", sagt Bonauer-Morel überzeugt. "Es ist Geschichte, die wir hier schreiben und die schreiben wir zusammen."

Ihre Stimme klingt leicht zittrig, als sie sagt: "In dieser Gruppe existieren keine Nationalitäten." Deutsche, Russen, Weißrussen und Ukrainer helfen gleichermaßen: "Es ist symbolisch, dass wir hier im AEZ neben dem ehemaligen Konzentrationslager eine Helferstation eröffnen."

Dachaus NS-Geschichte war auch ein Grund, warum sie sich für die Stadt entschieden hat: "Ich bin eine jüdische Zuwanderin", erzählt Bonauer-Morel. Aufgewachsen ist sie in Browary, einem Vorort von Kiew: "Das ist wie Dachau zu München." Sie kommt aus einer Pädagogenfamilie und hat Grundschullehramt mit Schwerpunkt Kunst- und Musikpädagogik sowie Wirtschaft studiert: "Malen und Zeichnen sind mein Hobby."

Vor rund 30 Jahren wanderte sie nach Deutschland aus und gründete in Dachau ihre Kunstakademie. Ihr Ziel: "Ich wollte die Stadt wieder zum Blühen bringen und zwar durch die Kunst." Schließlich war Dachau im 19. Jahrhundert für seine Künstlerkolonie bekannt - bevor die Nazis hier das Konzentrationslager errichteten.

Mittlerweile hat sie beide Staatsbürgerschaften und sagt: "Ich habe eigentlich immer gedacht, dass ich eher Deutsche bin - bis zum Krieg. Da habe ich mich plötzlich als Ukrainerin entdeckt." Die schrecklichen Bilder im Fernsehen konnte sie nicht ertragen, sie musste helfen und holte Freunde und Bekannte mit ins Boot.

Ein Lagerraum des AEZ haben die Helferinnen zu ihrem Logistikstützpunkt für Sachspenden gemacht. Viele Ehrenamtliche, auch von anderen Dachauer Vereinen, packen mit an. (Foto: Michaela Zachmann/Faschingsgesellschaft Dachau)

Eine von ihnen ist Oksana Romanenko. Sie stammt ebenfalls aus Kiew und kam 2014 nach Deutschland, als der Krieg in der Ostukraine begonnen hatte. Die Wirtschaftsprüferin hat aktuell Urlaub genommen, um möglichst viel bei der Dachauer Ukraine-Hilfe mit anzupacken zu können - ihre geflüchtete Mutter kocht und putzt aktuell im Hause Romanenko in Karlsfeld.

Russische Arbeitskollegen und Nachbarn entschuldigen sich bei den Ukrainerinnen

Während des Gesprächs kommen der zierlichen Frau immer wieder die Tränen: "Mein Herz bricht, wenn ich mir die Nachrichten anschaue." Auch ihre Kinder leiden sehr, wenn sie die Kriegsbilder aus der Ukraine sehen. "Meine Tochter hat zu mir gesagt: Man hat einen Teil von mir weggenommen." Oksana Romanenko betont: "Ich kann nicht normal weiterleben" - sie koordiniert vor allem Spendenanfragen, die über soziale Medien ankommen: "Vor kurzem hat eine Tierklinik zwei Tonnen Tierfutter gespendet."

Ihre Nachbarin ist Viktoriya Laguynska, sie kam bereits vor über 20 Jahren als Au-pair nach Deutschland, verliebte sich und blieb in Karlsfeld. Sie erzählt: "Ich habe dort russische Nachbarn und sie haben sich bei mir entschuldigt und gesagt: Ich schäme mich, Russin zu sein-" Auch Kollegen von Oksana Romanenko haben sich bei ihr für den Krieg entschuldigt: "Sie haben gesagt, dass sie sich schämen aus Russland zu kommen." Das berührt die beiden sehr.

Julija Katonov bepackt ihren Jeep und fährt immer wieder an die Grenze

Es ist eine Ausnahmesituation, die Hilfsbereitschaft in den Familien riesengroß. Der Mann von Viktoriya Laguynska ist Busfahrer und fährt immer wieder zur Grenze, um Flüchtlinge nach Bayern zu bringen. Ihre Kinder macht das stolz. Sie haben in letzter Zeit viel geweint: "Sie haben Angst, dass der Opa in der Ukraine stirbt" - noch dazu kommt, dass sie ihn wegen der Pandemie schon länger nicht mehr gesehen haben. Ihre Verwandten in Tscherkassy ruft Laguynska regelmäßig an und fragt etwa: "War diese Nacht ruhig? Oder wurdet ihr bombardiert?" Wenn sie nicht ans Telefon gehen, bekommt sie Angst.

Die Sorge um Freunde und Verwandte beschäftigt auch Oksana Bonauer-Morel, ihre ehemaligen Schwiegereltern sind pflegebedürftig und leben im vierten Stock eines Hochhauses in Browary: "Sie sagen: Unser Bunker ist die Decke". Ihre Medikamente bekommen sie nicht mehr.

Als sie von Putins Angriffen erfuhr, brach sie emotional erst mal zusammen. Sie stand in einem Einkaufszentrum und war tränenüberströmt. Aber der Zustand hielt nicht lange an, die Dachauerin beschreibt sich selbst als Phönix. Wie der sagenhafte Vogel, der in Flammen aufgeht und aus seiner Asche neu ersteht. Ihre Stimme wird energisch, zittrig und wütend zugleich als sie sagt: "Man unterschätzt den Idealismus" - und meint damit ihre Helfergruppe.

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