Thoma-Gemeinde spielt neues Stück:Zwischen Revolution und Fiktion

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Theaterregisseur Ben Möckl widmet sein Stück Ernst Toller und der Schlacht um Dachau von 1919. Dabei erlaubt er sich einiges an künstlerischer Freiheit

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Alle zwei Jahre wird der Ernst-Toller-Preis "für herausragende Leistungen im Grenzbereich von Literatur und Politik" verliehen. Nicht in Dachau, nicht in Karlsfeld, sondern in Neuburg an der Donau. In der Großen Kreisstadt und der zweitgrößten Gemeinde des Landkreises erinnern nicht einmal Straßennamen an den Pazifisten, Dichter und Revolutionär. Toller (1893-1939) war von Beginn an einer der führenden Köpfe der Revolution von 1918/19. Sein Name ist untrennbar mit der "Schlacht von Dachau" am 16./17. April 1919 verbunden. Er wurde im Frühjahr 1919 zum Vorsitzenden des Zentralrats der Räterepublik und von den Arbeitern, die sich in Karlsfeld gegen die übermächtige Weiße Armee aus Freikorps und Militäreinheiten versammelt hatten, zu ihrem Anführer bestimmt.

Diese dramatischen Geschehnisse und ihre Protagonisten stehen im Mittelpunkt der jüngsten Produktion der Ludwig-Thoma-Gemeinde. Am Freitag, 5. April, ist um 19.30 Uhr Premiere von "'19 Schlacht um Dachau" im Ludwig-Thoma-Haus. Der junge Ben Möckl hat das Stück geschrieben und führt auch Regie. Nicht zum ersten Mal bringt die Ludwig-Thoma-Gemeinde den in den 1920er Jahren wichtigsten Dramatiker im deutschsprachigen Raum auf die Bühne. "Nie wieder Friede" war 2002 beispielsweise so eine unvergessliche Aufführung. Mit "Ernst Toller und die Schlacht von Dachau" stellte die Theatergruppe vor zehn Jahren dessen tragisches Leben - vom blutjungen Teilnehmer des Ersten Weltkriegs, über die Räterepublik, seine fünfjährige Festungshaft, seine erzwungene Emigration und seinen Freitod in New York - in den Mittelpunkt einer szenischen Lesung.

Probenszene im Thoma-Haus mit Christian Gerling als Gustav und Bernhard Vieregg als Ernst Toller. Rechts: Wolfgang Möckl in der Rolle des Oberkommandierenden der Roten Armee, Rudolf Egelhofer. (Foto: Toni Heigl)

Wird es Zeit für eine neue Sicht auf Toller? Ja, sagt Autor und Regisseur Möckl bei einem Probenbesuch der SZ Dachau. Der 21-Jährige studiert im vierten Semester Theaterwissenschaften, hatte vor zwei Jahren mit "Ludwig Thoma - eine Selbstzerstörung" sein Regiedebüt bei der Ludwig-Thoma-Gemeinde. Nach dem Abitur machte er ein Regiepraktikum am Münchner Residenztheater.

Allerorten werde derzeit an die Novemberrevolution 1918/19 und die für die Demokratie so prägenden Zeit erinnert, sagt Möckl. Das sei für ihn der Auslöser gewesen, sich intensiv mit Ernst Toller, seinen Weggefährten, Kontrahenten und den Ereignissen rund um die Schlacht von Dachau auseinanderzusetzen. "Wir wollen den inneren Zwiespalt aufzeigen. Wie geht ein Pazifist damit um, dass er auf einmal Mittelpunkt einer Revolution ist, die friedlich begonnen hat und im Blutvergießen endet?"

Mit "wir" ist nicht etwa ein ungenannt bleiben wollender Co-Autor gemeint. Ben Möckl zieht vielmehr das gesamte Ensemble in den Probenprozess ein, von den erfahrenen Darstellerinnen und Darstellern bis zu den vielen Neulingen, die erstmals mitwirken. "Die ganze Thoma-Gemeinde ist ein riesiger Quellen-Pool", sagte Möckl. Das habe ihm die Arbeit an seinem ersten Stück sehr erleichtert. Zu dessen Inhalt wollte er nicht allzu viel verraten, nur so viel: "Es ist kein Dokudrama, sondern eine fiktive Geschichte vor einem realen Hintergrund."

Fiktiv sind auch einige Personen, die aber entscheidend zum Fortgang der Bühnenhandlung beitragen, wie etwa eine junge Frau, die sich in Toller verliebt - oder ist es umgekehrt? Dann wäre auch noch Fritz zu nennen, ein Vertrauter Rudolf Eglhofers, des Oberkommandierenden der Roten Armee. "Mein Stück soll ein Spiegel lokaler und regionaler Ereignisse sein. Dabei will ich die Persönlichkeit Tollers, sein ganzes Charisma zeigen", erklärt Ben Möckl. "Wenn die Zuschauer rausgehen und diskutieren, wie es dazu kommen konnte und was daraus geworden ist, habe ich mein Ziel erreicht. Denn für mich ist Theater ein Ort der Kommunikation".

Das gilt wohl auch für die Proben. Weil etliche Thoma-Gemeinde-Mitglieder "gerade in Elternzeit sind", wie Möckl sagt, "haben wir uns einige Darsteller vom ASV ausleihen müssen und einige neue gesucht und gefunden". So spielt Bernhard Vieregg, sonst im ASV-Theater am Stadtwald zu Hause, den Toller oder Zoraiz Off den Fritz. "Da muss man miteinander reden", sagt Möckl, und ist nun ganz für sein Ensemble da.

Wo fand die Schlacht von Dachau statt? Wer hat dabei welche Rolle gespielt? Welche Zeitzeugenberichte gibt es? Wer diese und weitere Fragen zur Revolution von 1918/19, zur Räterepublik zu den Roten und den Weißen Truppen ganz genau beantwortet haben will, kann sich das auch von Gästeführerin Brigitte Fiedler auseinandersetzen lassen. Sie lädt am Donnerstag, 11. April, zu einem Stadtrundgang ein, der dem Pazifisten und Revolutionär Ernst Toller gewidmet ist. Beginn ist um 18 Uhr vor dem Rathaus. Fritz und Tollers Liebschaft dürften darin allerdings keine Rolle spielen.

Ludwig-Thoma-Gemeinde: "'19 Schlacht um Dachau" von Ben Möckl. Premiere am Freitag, 5. April, um 19.30 Uhr im Ludwig-Thoma-Haus Dachau. Weitere Aufführungen am Sonntag, 7. April, um 18 Uhr, am Freitag/Samstag, 12./13. April, um 19.30 Uhr, am Sonntag, 14. April, um 18 Uhr.

© SZ vom 30.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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