Fans des FC Bayern müssen jetzt ganz stark sein: Der Stern des Südens, den sie so inbrünstig besingen, hat ein Alter Ego am Firmament. Sein Name ist Alonso Quijano, er stammt aus Spanien und wurde vom Hoftheater Bergkirchen für sein Sommermärchen eingekauft. Der Mann ist Spielmacher, Stürmer, Abwehrspieler und Torhüter in Personalunion. Er verwandelt die sonst eher zweckmäßige Sporthalle des TS Lauterbach mühelos in einen Hexenkessel. Begeisterte Zuschauer des gut zweistündigen Spektakels singen aus vollem Herzen mit, wenn die Mannschaft von Trainer Herbert Müller anstimmt: "Don Quichotte, Stern des Südens, du wirst niemals untergehen, weil wir in guten wie in schlechten Zeiten zu einander stehen."
Die passende Choreografie hat das Publikum übrigens auch ohne Probe drauf. Literatur- und Kulturfreunde ahnen es längst: Das Hoftheater-Ensemble ist nicht zum Fußballverein mutiert, sondern hat dem weltberühmten Ritter von der traurigen Gestalt, den vor vierhundert Jahren Miguel de Cervantes "erfunden" hat, seinen zweiten musikalischen Theatersommer gewidmet. Regisseur Herbert Müller hat aus der komisch-dramatischen Geschichte ein "Musicaletto" gemacht, in dem viel gelacht, gesungen, gestolpert, geliebt, gelitten und gekämpft wird. Am Samstag war die gelungene Premiere.
Herbert Müller als Esel Rucio, Tobias Zeitz als treuer Sancho Pansa und Guido Drell als der unerschrockene Ritter Don Quichotte.
Riesentrubel auf der Bühne und manchmal auch ein stiller Moment:
Don Quichotte (Guido Drell) mit seiner Dulcinea (Lisa Wittemer).
Darf man von einer Welt träumen, in der edle Ritter für ihre im besten Fall belächelten Ideale in einen scheinbar aussichtslosen Kampf ziehen? Bleibt man - um Goethe zu zitieren - "edel, hilfreich und gut", selbst wenn hinter den Träumen das traurig-melancholische Gesicht der Realität aufschimmert? Man darf, man kann, man soll. Das ist die in heitersten Stoff verpackte Botschaft des Bergkirchner "Don Quichotte". Für die tumultige, überbordende Handlung hat Arrangeur und Komponist Max I. Milian "Toréador, en garde - Auf in den Kampf, Torero" aus George Bizets Oper "Carmen" als Leitmotiv ausgesucht. Das Festspielorchester unter der Leitung von Robert Scheingraber spielt sie in allen möglichen Variationen mit Können und ansteckender Begeisterung. Dazu hat der Arrangeur in die ohnehin schon witzige Handlung noch jede Menge Evergreens und Hits eingestreut. Für Scheingraber eine prima Gelegenheit, bei "Guantanamera" das willig mitsingende Premierenpublikum zum gemischten Chor umzufunktionieren oder die Helden - durchaus auch mal bairisch - rappen zu lassen. Die vielen Darsteller werfen sich Stichworte und Pointen nur so zu, dazu gerne den einen oder anderen Wassereimer, sie verschmelzen mit ihren Rollen. So wie der in jeder Hinsicht umwerfende Guido Drell als weltfremder, tapsiger Ritter Don Quichotte.
Wie es dem Sonderling bei seinen Kämpfen gegen Riesen und Zauberer ergeht, erzählen das höchst agile Ross Rosinante (eine Paraderolle für Ansgar Wilk) und der etwas angegraute, der Philosophie zugeneigte Esel Rucio (Herbert Müller). Da lässt sich der Tagträumer Alonso Quijano vom hinterfotzigen Wirt Lorenzo (ein wunderbarer Gauner: Jürgen Füser) zum Ritter Don Quichotte schlagen. Er erwählt dessen Tochter Alonza (lieblich und doch energisch-realistisch: Lisa Wittemer) unter dem brüllenden Gelächter der Mägde und Liebesdienerinnen (ein bestens aufgelegter Damen-Festspielchor) zu seiner Dulcinea und besteht die unglaublichsten Abenteuer, begleitet vom getreuen Sancho Pansa (immer auf der Sonnenseite des Lebens, Spaßmacher und Animateur in Personalunion: Tobias Zeitz). Der ist so endlich der strengen Herrschaft seiner Xanthippe von Ehefrau Teresa (wort- und tatkräftig: Ingrid Scheingraber) entflohen, nicht ohne sie vorher mit ganzen Wortkaskaden und einem zum Brüllen komischen "Granada" von seinen altruistischen Absichten zu überzeugen. Doch Sancho Pansa und sein Herr geraten vom Regen in die Traufe: Die Magd Maritornes (eine fabelhaft wandelbare Annette Thomas) macht ihnen mit ihren sarkastischen Sprüchen das Leben mindestens so schwer wie Windmühlen, Spiegelritter und Puppenspieler.
Dieser "Don Quichotte" mit seinen lustigen und lustvoll ausgespielten und gesungenen schrillen und doch stimmigen Tönen hat aber auch seine stillen Momente. So etwa, wenn der Ritter erkennen muss, dass er Chimären nachgejagt hat. Da wird das Orchester ganz leise, die Torero-Arie zu einer Art Abschiedssinfonie. Doch der Stern des Südens kann bekanntlich nicht untergehen - sondern feiert in der Sporthalle Lauterbach noch bis zum 7. August fröhliche Auferstehung.