Theater:Betörend und verstörend

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Das Leben des Ernst Toller, gespielt von Bernhard Vieregg (links), wird präsentiert in einem Stück zwischen Revolution und Fiktion. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Stück "'19 Schlacht um Dachau" bezieht sich auch auf die Gegenwart

Von Renate Zauscher, Dachau

Ernst Toller und Dachau: Was den Mann und die Stadt verbindet, das sind die dramatischen Ereignisse der "Schlacht um Dachau" im Frühjahr 1919. Toller, einer der führenden Köpfe der Revolution nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, wurde nach der Ermordung des provisorischen Ministerpräsidenten der Räterepublik, Kurt Eisner, zunächst Vorsitzender der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD), ehe er im April dem Anführer der Rotgardisten, Rudolf Egelhofer, als dessen Stellvertreter und Abschnittskommandant für den Münchner Westen zugeteilt wurde. Ihm gelang es, die gegen die Räterepublik mobilisierten, nach Dachau vorgedrungenen Freikorpsverbände zurückzuschlagen, ehe diese wenig später der Räterepublik das Ende bereiteten.

Die Schlacht um Dachau und die Rolle Ernst Tollers in diesem Geschehen stehen im Mittelpunkt eines Stücks, das Ben Quentin Möckl, erst 19 Jahre alt und Student der Theaterwissenschaften, für die Ludwig-Thoma-Gemeinde in Dachau geschrieben und als Regisseur auf die Bühne des Ludwig-Thoma-Hauses gebracht hat. Am Freitag feierte das Stück mit dem Titel "`19 Schlacht um Dachau" seine Premiere, weitere Vorstellungen folgen am kommenden Wochenende - fast auf den Tag genau einhundert Jahre nach den Ereignissen vom April 1919.

Was den Markt Indersdorfer Ben Möckl an der Person Tollers fasziniert hat, ist der moralische Zwiespalt, in dem sich Toller befunden haben muss. Toller war Literat, war Pazifist - und wurde, durch die Umstände und auch durch die Begeisterung, die er mit seinen Reden auszulösen vermochte, in die ihm eigentlich verhasste Rolle eines Menschen versetzt, der nicht nur mit Worten, sondern auch mit Waffengewalt kämpfen muss.

Toller stürzt in Ben Möckls Stück durch diese ihm zugewiesene Rolle in tiefe Gewissensnöte. Ambivalent aber zeichnet Möckl auch Tollers Gegenspieler Rudolf Egelhofer: Der stellt sich zunächst bedingungslos den Realitäten des revolutionären Kampfes, leidet aber mehr und mehr unter dem, was dieser Kampf aus ihm als Menschen gemacht hat. Am Ende stirbt er, realistisch nah vor den Augen der Zuschauer, einen blutigen Bühnentod.

Bernhard Vieregg, der eigentlich im ASV-Theater zu Hause ist, als Toller und Wolfgang Möckl als Egelhofer spielen die beiden Protagonisten des Stücks mit großer Eindringlichkeit, wobei es keine Rolle spielt, dass Toller als deutlich älterer Mann gezeigt wird, als er 1919 mit seinen 23 Jahren eigentlich war. Sehr überzeugend ist auch Christian Gerling als Vertrauter von Toller, hinter dem die historische Person Gustav Klingelhöfers stehen dürfte. Andere Personen sind fiktiver Natur: Maria etwa, Tollers Waffen- und Liebesgefährtin, mit viel Emotion gespielt von Fini Kron, oder deren Familie mit "Mutter" Brigitte Fiedler, Szezana Eckl als Schwester und Leander Möckl als kleinem Bruder. Die Namensähnlichkeit ist nicht zufällig: Leander ist Ben Möckls Bruder, Wolfgang Möckl dessen Vater.

Zoraiz Off gibt den ebenfalls fiktiven "Fritz", einen jungen Fanatiker, den man sich gut als IS-Kämpfer vorstellen kann. Edi Hörl schließlich, mit Trachtenhut und Bierflasche in der Hand, steht für den "einfachen Mann aus dem Volk", der mehr vom Reden als vom Schießen hält, und Rainer Seuß für den Soldaten schlechthin, in diesem Fall einem auf der Seite der zuletzt siegreichen Freikorpskämpfer.

Wo also liegt die Schuld der Menschen diesseits und jenseits der ideologischen Gräben zwischen ihnen? Wo bleiben Humanität und Mitgefühl, wenn so, wie es Tollers Freundin Maria ausdrückt, die Menschen ohnehin überall "krepieren" - auf dem Meer ebenso wie auf dem Land und auf den Schlachtfeldern?

Der Hinweis auf das "Meer" als Ort des Sterbens darf durchaus als auf unsere Zeit gemünzt verstanden werden: Er habe kein "Dokutheater" machen wollen, sagt Ben Möckl; der Bezug zur Gegenwart sei ihm sehr wichtig. Das wird auch durch die im Hintergrund der Bühne laufenden TV-Berichte über brennende Autos und Polizeieinsätze gegen "Gelbwesten" in Paris oder Lyon deutlich.

Aber auch sprachlich verortet Möckl die Geschehnisse von vor hundert Jahren in unsere Gegenwart. Denn die großen Fragen bleiben: Wie weit darf Revolution gehen, wo verrät sie das eigene Ziel einer besseren, humaneren Zukunft?

Letztlich geht es um die Frage der Berechtigung von Krieg als solchem. Aufgegriffen wird sie auch mit den Mitteln der von Philipp Doben komponierten Musik, mit der Michael Mink auf der Trompete, Thomas Teske am Klavier und Doben selbst auf dem Saxofon Möckls Stück begleiten.

Soldatische Klänge sind das passagenweise, immer wieder aber auch schräge und schiefe Töne: der musikalische Ausdruck für das Verstörende an Ben Möckls Fragestellung.

Das Theaterstück "`19 Schlacht um Dachau" vom jungen Regisseur Ben Möckl wird am kommenden Wochenende noch drei Mal im Ludwig-Thoma-Haus in Dachau aufgeführt: Am Freitag, 12. April, sowie am Samstag, 13. April, um jeweils 19.30 Uhr. Die abschließende Vorstellung zu den dramatischen Geschehnissen um Ernst Toller findet am Sonntag, 14. April, um 18 Uhr statt.

© SZ vom 08.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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