Tag der Kriminalitätsopfer:"Cybermobbing steht ziemlich weit oben"

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Susanne Seßler und Wolfgang Bössenroth vom Weißen Ring sehen das Phänomen besonders an Schulen verbreitet. Wegen der hohen Internetkriminalität warnen die Experten davor, persönliche Daten im Netz leichtfertig preiszugeben

Interview von Stephanie Noll, Dachau

Fast jeder zweite deutsche Internetnutzer ist schon zum Opfer von Internetkriminalität geworden. Das ergab eine repräsentative Untersuchung des Digitalverbandes Bitkom. Daher rückt der Weiße Ring zum Tag der Kriminalitätsopfer am Donnerstag, 22. März, das Thema in den Fokus. Wolfgang Bössenroth, Leiter der Außenstelle Dachau, und seine Stellvertreterin Susanne Seßler berichten im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung von ihren Erfahrungen zur Internetkriminalität und ihrem Arbeitsalltag im Weißen Ring. Die Hilfsorganisation bietet Menschen, die von Straftaten betroffen sind, umfassende Hilfe an.

SZ: Internetkriminalität nimmt zu. Gehen die Menschen Ihrer Ansicht nach zu leichtfertig mit ihren Daten um?

Wolfgang Bössenroth: Das kann man so im Prinzip nicht sagen. Oft fallen die Menschen einfach aus Versehen auf Kriminelle im Netz herein. Sie klicken beispielsweise auf einen Link, hinter dem sich etwas ganz Anderes verbirgt als sie vermuten. In vielen Fällen hat das eher etwas mit Unkenntnis und Unvorsichtigkeit zu tun.

Werden eher ältere oder jüngere Menschen Opfer von Internetkriminellen?

Bössenroth: Das kann man nicht genau festmachen, es sind im Prinzip genauso viel ältere wie jüngere betroffen. Jüngere sind aber oft ein bisschen leichtsinniger.

Susanne Seßler: Sie agieren deutlich mehr Internet, geben mehr preis durch Fotos oder Posts. Aber im Prinzip kann es jeden treffen.

Fälle von Internetkriminalität sind ja sehr vielfältig, von unerlaubtem Upload von Bildern über das Abfischen von Daten. Wen ziehen Sie als Hilfe bei jedem individuellen Fall heran?

Bössenroth: Wir holen uns EDV-Spezialisten, die die notwendige Ausbildung und Erfahrung haben.

Seßler: Und wenn der Fall eine entsprechende Relevanz hat, dann kontaktieren wir natürlich auch die Kriminalpolizei und schauen, was wir gemeinsam für das Opfer tun können.

Bössenroth: Oft ist es aber auch umgekehrt. Die Menschen werden von der Kripo darauf aufmerksam gemacht, dass der Weiße Ring ihnen weiterhelfen kann.

Mit welcher Art von Vergehen im Internet haben Sie am meisten zu tun?

Seßler: Cybermobbing an Schulen steht ziemlich weit oben.

Gibt es einen Fall, der Ihnen bei dem Thema ganz besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Bössenroth: Wir hatten mal einen Fall, der schon einige Zeit her ist. Da sind unerwünschte Bilder im Internet aufgetaucht und es war sehr schwierig, sie wieder wegzubekommen. Damals war es auch so, dass Facebook und andere Institutionen noch nicht von selbst aktiv geworden sind. Das hat sich mittlerweile etwas verbessert. Das Entfernen der Bilder war damals ein sehr zeitaufwendiger Prozess, der sich fast über ein Jahr hinweggezogen hat. Wir konnten uns auch nicht sicher sein, ob wirklich alle Bilder verschwunden sind. Es ist vor allem ein Problem, wenn die Person selbst leichtsinnig Fotos ins Netz stellt. Die wieder rauszubekommen, ist manchmal sogar unmöglich. Das Internet vergisst nie.

SZ: Mit welcher Art von Kriminalitätsopfern werden Sie ganz allgemein hier im Landkreis am meisten konfrontiert?

Bössenroth: Mit häuslicher Gewalt. An zweiter Stelle stehen sexuelle Straftaten, gefolgt von körperlicher Gewalt, beispielsweise Schlägereien in Gastwirtschaften oder nach Volksfesten. Ansonsten auch Fälle von Mobbing oder Stalking.

Haben Sie das Gefühl, dass die Kriminalität im Landkreis zugenommen hat ?

Bössenroth: Es ist wohl eher so, dass die Leute allgemein sensibler geworden sind. Das sieht man am Beispiel der #metoo-Kampagne. Die Menschen sind aktiver, gehen jetzt eher zur Polizei als früher. Das betrifft vor allem sexuelle Belästigung. Dieser Prozess hat vor einigen Jahren begonnen. Die Gesellschaft ist wacher geworden, die Bereitschaft, Anzeige zu erstatten, ist größer geworden. Was früher an Kriminalfällen bekannt wurde, war oft nur die Spitze des Eisbergs.

W ie entwickelt sich die Anzahl der Menschen, die zu Ihnen kommen?

Bössenroth: Im Prinzip sind die Opferzahlen ziemlich gleichbleibend. Jedes Jahr sind es etwa 60 bis 80 Fälle, die bei uns aufschlagen.

Wenn nun beispielsweise jemand zu Ihnen kommt, der Opfer von häuslicher Gewalt geworden ist - wie geht der Weiße Ring in solchen Fällen vor?

Bössenroth: Zuerst kontaktiert uns die Person, entweder per Mail, meistens aber telefonisch. Dabei kann ein Opfer direkt bei uns anrufen oder die bundesweite Hilfs-Hotline 116 006 wählen. Wir fragen dann nach, wie der aktuelle Status ist, zum Beispiel, ob schon eine Anzeige erstattet wurde. Auch erkundigen wir uns, ob lieber eine Frau oder ein Mann der Ansprechpartner sein soll. Wenn das geklärt ist, treffen wir uns mit der Person entweder bei ihr zuhause oder in einem Raum, den uns die Gemeinde Karlsfeld zur Verfügung gestellt hat. Bei diesem Gespräch wird genauer geklärt, was geschehen ist und wie wir helfen können.

Seßler: Es ist immer wichtig, zu analysieren, welche Schritte sinnvoll sind. Wenn etwa noch keine Anzeige erstattet wurde, sollte man das tun? Gerade bei Sexualstraftaten muss man abwägen, ob es wirklich beweisbar und nachvollziehbar ist oder das Opfer dadurch nur leiden würde. Wir sind natürlich für eine Bestrafung der Täter, aber wenn jegliche Beweislage fehlt, ist es unnötig, das Opfer in etwas hineinzutreiben.

Bössenroth: Wir leisten auch finanzielle Hilfe, geben den Opfern etwa Bargeld, wenn eine Grundbedürftigkeit vorhanden ist.

Zum Tag der Kriminalitätsopfer haben Bürger am Donnerstag, 22. März, von 9.30 bis 17 Uhr, an einem Stand des Weißen Rings im Rewe-Center in Dachau-Ost Gelegenheit, sich Informationen zu Hilfsmöglichkeiten einzuholen.

© SZ vom 21.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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