Szenario:Zeitkritik mit Leberkäs

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Die Ausstellung des Bildhauers Wolfgang Sand aus Haimhausen in der Volksbank Dachau beeindruckt die zahlreichen Besucher. Ihnen gefällt die Mischung aus ernsthaftem Anliegen, beiläufiger Ironie und valentineskem Humor

Von Annalena Sippl, Dachau

Etwas wackelig liegt eine Leberkässemmel auf dem Rand eines Glaskastens, darin eine Spieluhr in Weltkugeloptik. Werden Münzen eingeworfen, dreht sich der Globus um die eigene Achse. "Variable Wertanlage" heißt das Objekt, bei dessen Anblick sich in den Gesichtern der Besucher eine breite Palette menschlicher Emotionen widerspiegelt. Die häufigsten Reaktion sind Verwunderung, ein verstecktes Lächeln oder auch ein lauter Lacher.

Die Skulptur "Überhitzt" soll globale Ausbeutung anprangern. (Foto: Niels P. Joergensen)

Die Skulptur soll die Ära des Turbokapitalismus verdeutlichen, alles hänge vom Geld ab. Ohne finanziellen Einsatz kann der Besucher jedoch an die Leberkässemmel gelangen - sie steht für ein schnell zu befriedigendes Bedürfnis. "Wir haben erst gedacht, die Semmel hat dort jemand vergessen", lacht Michaela Potzen. Doch wer eine Ausstellung von Wolfgang Sand besucht, der muss damit rechnen überrascht zu werden, vor allem von einer großen Prise Ironie und valentineskem Humor. Die Semmel ist übrigens mit Sagrotan imprägniert. Darüber hinaus hat der Künstler "Feldversuche gemacht", wie oft Semmel und Fleisch ausgetauscht werden müssen.

Auftakt zur Ausstellung "Auf schmalem Grat"

Am Mittwochabend füllt sich die Schalterhalle der Volksbank-Raiffeisenbank in der Augsburger Straße in Dachau zügig mit den geladenen Gästen. Viele waren schon vor dem offiziellen Veranstaltungsbeginn um 19 Uhr gekommen, um die Werke in Ruhe betrachten zu können. Die Vernissage stellt den Auftakt der Ausstellung "Auf schmalem Grat" dar. "Drahtseilakte und Abstürze, die nicht in luftigen Höhen stattfinden, sondern hier unten auf der Erde, in unserem Alltag" beschreibt Kuratorin Bärbel Schäfer Wolfgang Sands grundlegendes Thema.

Leberkäs und Semmel sind echt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Vertreter aus Wirtschaft und Politik waren der Einladung zur zehnten Ausgabe der Veranstaltungsreihe "Kunst und Bank" gefolgt. 2011 hielten Kunstwerke erstmals Einzug in die Volksbank, "mittlerweile ist die Reihe zu einem wichtigen Bestandteil des Dachauer Kulturlebens geworden", so Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) bei der Eröffnungsrede. Auf die sprichwörtliche Gratwanderung begaben sich neben ihm auch die stellvertretende Landrätin Marianne Klaffki (SPD), der Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU), der Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath (CSU), aber auch der Bildhauer-Kollege Albert Krottenthaler, der einst selbst bei "Kunst und Bank" ausgestellt hatte.

Kuratorin Bärbel Schäfer gibt den Besuchern Impulse zu den Werken. (Foto: Niels P. Joergensen)

Kuratorin Bärbel Schäfer gab den Besuchern vorab einige Impulse zu den Werken von Wolfgang Sand: "Er spürt persönlichen Geschichten nach und beschäftigt sich mit Zeitkritik und der aktuellen Weltgeschichte. Die Ironie vergisst er dabei nie." Dass Letztere die Besucher anspricht, war auf der Vernissage an jeder Ecke zu spüren und zu hören. Immer wieder wird geschmunzelt, laut aufgelacht und über die Bedeutung der Bronzestatuen gerätselt. Als "fantastisch" beschreibt Besucherin Sabina Dannoura aus Freising die Ausstellung: "Sand ist keiner, der mit dem Daumen noch einmal fest in die Wunde drückt, aber seine Werke halten uns den Spiegel vor." Nicht weniger enthusiastisch gibt sich Schauspieler Dieter Gilde aus Jetzendorf. "Seine Kunst kann man sofort begreifen, da braucht man keine langen Erklärungen." Sie bewundern auch seine Zeichnungen.

"Eine Hommage and zwei Originale"

Die meisten Blicke bleiben jedoch an den teils meterhohen Skulpturen hängen, die viel Raum einnehmen. Sands wohl größtes Werk "Überhitzt" steht im Innenhof der Bank: In rund vier Metern Höhe hängt eine zerstörte Weltkugel an einem kahlen Ast, am Fuße der Skulptur erhebt sich ein Ventilator. Der persönliche Weg des Künstlers, die Ausbeutung der Welt anzuprangern. Der kleine Ventilator kann anscheinend wenig gegen die bedrohlichen Entwicklungen ausrichten.

Während die Besucher schlemmen und sich amüsieren, sitzen in einer dunkleren Ecke zwei lebensgroße Gestalten vor einem meterhohen Glasfenster. Sie wirken, als würden sie über den ganzen Trubel tuscheln. Die Skulpturen "Pinki" und "Gudrun" sind regionalen Kunstliebhabern wohlbekannt. "Eine Hommage an zwei Originale," wie Kuratorin Schäfer sagt. "Der einarmige, kriegsversehrte Briefträger und die lebenslustige Wirtin des legendären Café Madame in Haimhausen."

"Gudrun" und "Pinki" sind hingegen als Hommage gedacht. (Foto: Niels P. Joergensen)

Plastische Erinnerungen an Menschen, die so mancher Gast mit dem Künstler teilen kann. Wie Thomas und Angelika Erlebach, die Briefträger Pinki persönlich kannten. "Das Ambiente hier ist total schön, so gediegen", sagt die Haimhausenerin. Dem Ehepaar gehört der Brunnen "Sonne und Strand", der die Ortsmitte schmückt. Natürlich ein Werk von Wolfgang Sand, der dort sein Atelier hat. Die Skulpturen des 60-Jährigen übten auf das Ehepaar schon immer eine besondere Anziehungskraft aus. Mit leuchtenden Augen blicken sie abwechselnd auf die Besucher und die Skulpturen, die deren Weg säumen. "So kriegt man sogar eine Bank ganz voll", lachte Thomas Erlebach. Auch die Gäste verstehen etwas von Humor.

Bis Freitag, 20. Oktober, zu den üblichen Geschäftszeiten in der Volksbank Dachau. Und zur Langen Nacht der Offenen Türen von 18 bis 24 Uhr.

© SZ vom 15.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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