SZenario:Reden statt sehen

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Die Besucher der Vernissage in der Volksbank Dachau stehen so dicht gedrängt, dass sie von der Kunst nicht viel sehen. Die Objekte bleiben erst einmal nur Hintergrund für eine Stehparty. Für Smalltalk eignen sich die Werke von Nico Kiese aber ohnehin nicht

Von Viktoria Großmann, Dachau

Die Kunst sprengt den Rahmen. Der Raum ist zu voll, eine Plastik muss draußen warten. Was angesichts des bayerischen Totalrauchverbots vielleicht sogar angebracht ist: Es handelt sich um ein dickes Herz aus Zigarettenkippen. Nico Kiese stellt bis 16. Oktober im Foyer der Volksbank aus - Objekte, die den Materialismus kritisieren. So ist das mit Kunst und Geld, sie brauchen einander und sie hadern miteinander. Ein komisches altes Paar, das nicht zusammen passen will. Nichts zeigt das besser als Kunst in einer Bank - eine ständige gegenseitige Grenzübertretung. Grün blinkt das Licht am Kontoauszugdrucker, sanft weht ein Geruch von Schinkenbrötchen durch die Eröffnungsreden von Oberbürgermeister Florian Hartmann und Bankvorstand Karl-Heinz Hempel, die von verträumtem Gitarrenspiel zusammengehalten werden. Die Redner tragen Krawatten, der Künstler ein schwarzes T-Shirt - so viel Klischee muss sein. Das Publikum zögert, ob es verwerflicher ist, das Sektglas auf dem Bankautomaten oder auf einer Gehwegplatte, die zu einem Kunstwerk gehört, abzustellen.

Der Künstler sagt erst einmal nichts, dafür ist er im Laufe des Abends ständig umringt von Gratulanten und anderen Händeschüttlern und Schulterklopfern. Schöner Erfolg, große Chance für den Künstler - aber auch für das Publikum.

Mehr Besucher als die Volksbank am Dienstagabend kann sich keine Galerie wünschen, die Gäste treten sich beinahe auf die Füße beim Versuch einer Begehung. Oder auch dem Versuch, an ein Häppchen zu kommen oder einen Bekannten auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes zu begrüßen. Einige KVD-Mitglieder schauen sich die Arbeiten des Kollegen an, Paul Havermann stellt sich als ältestes Mitglied der Künstlervereinigung vor und wundert sich, dass er Kiese nicht als Schüler hatte. Nico Kiese stammt zwar aus Dachau, ging aber in München zur Schule. Bauunternehmer Herbert Ullmann gibt sich als Kunstsammler zu erkennen, Bildhauer Albert Krottenthaler ist hingerissen und lässt sich vom jungen Künstlerkollegen einen Katalog signieren.

Kunst kann sehr verbindend wirken, besonders beliebt sind in dieser Hinsicht die Installationen mit dem Titel "Frei" bei denen mit den Händen ein Schaltkreis geschlossen werden kann. Dann springt ein Tonband an, das über Kopfhörer kapitalismuskritische Aussagen abspielt. Um den Schaltkreis zu schließen, können sich auch mehrere Betrachter an den Händen fassen. Gemeinsam im Kreis, Hand in Hand lauschend bekommt die Kunstbetrachtung einen ungemein feierlichen Charakter. Die Installationen aus Drähten, Gitter und wachsüberzogenen Bronzeskulpturen sind der "Renner", wie Künstler Kiese feststellt.

"Das Material dient Nico Kiese um Widersprüche zu provozieren, traditionelle Wertbegriffe und Hierarchien in Frage zu stellen", sagt Kuratorin Bärbel Schäfer über die Ausstellung "Material World". Bronzene Narzissen, die wie Nägel mit einem Hammer in Betonplatten geklopft werden, eine Prozessionsfahne aus Papierabfällen, ein Spielautomat, vor dem man niederknien kann. Die Arbeiten des 32-Jährigen geben ohne Zweifel genügend Gesprächsstoff. Trotzdem ist die Kunst an diesem Abend wie üblich bei solchen Anlässen eher der Vorwand für den gesellschaftlichen Austausch. Um sich der Ausstellung zu widmen, braucht man Ruhe und Zeit und nicht unbedingt Gesellschaft. Über seine Kontoauszüge denkt man ja auch lieber alleine und in Ruhe nach. Das haben Kunst und Geld gemeinsam: sie eignen sich nicht für den Smalltalk.

© SZ vom 17.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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