SZ Talentiade:Die Kämpferin

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Eines der größten deutschen Boxtalente: Marie Bachmaier. (Foto: Toni Heigl)

Eine Vorlesung mit eindrucksvoller Demonstration darüber, was eine Boxsportlerin alles an Begabung und charakterlichen Eigenschaften braucht. Marie Bachmaier fährt im Juli zur Europameisterschaft der Juniorinnen

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Manchmal, das muss Marie Bachmaier zugeben, ist der Rat von Vätern hart, aber herzlich und vor allem wegweisend. Als die heute 17-Jährige noch Fußball spielte, empfand ihr Vater sie als talentfrei. Er empfahl ihr einen Kampfsport. "Damals", erzählt Marie, "war ich ziemlich sauer." Dann probierte sie Judo und vieles mehr aus, um im Alter von 13 Jahren im damaligen Martialarts-Studio in Dachau aufzutauchen. Dort war Mario Stanislaw als Trainer angestellt. Seine Lebensgefährtin Kathrin Wimberger spricht von einem Schlüsselerlebnis: "An diesem Abend ist er nach Hause gekommen und hat von einem Rohdiamanten geschwärmt."

Der blondhaarige Edelstein lacht viel, fläzt sich in ein Sitzkissen. Die grau-blauen Augen zwinkern, wenn Trainer Stanislaw von ihrem Ehrgeiz schwärmt. Ab und an verschränkt sie ihre Arme oder spielt mit den elastischen Bändern an den Händen, um ihren Bewegungsdrang zu kaschieren. Sie will trainieren und muss ruhig zuhören. Denn Trainer Stanislaw hat Lust auf eine mehrteilige Lektion über den Boxsport im Allgemeinen und Technik im Besonderen: "Haben Sie viel Zeit?"

Lektion 1: Mario Stanislaw hat mit seiner Lebensgefährtin Kathrin Wimberger vor drei Jahren die Boxschule Dachau gegründet und verfolgt die Idee einer Mischung aus Kaderschmiede und Breitensport. 300 Mitglieder, meist junge Dachauer, trainieren bei ihnen. Kathrin Wimberger ist Fitnesstrainerin und wirbt für die "Old-School". Sie kritisiert die Fitnessklubs: "Mit deren Geräten können muskuläre Disbalancen entstehen." Es würden einzelne Partien trainiert, losgelöst von ihren körperlichen Funktionen. Fußballtrainer Felix Magath (zur Zeit China) hätte seine Freude: schwarze Medizinbälle, genaue Bewegungsabläufe und - Liegestützen. Den Erfolg präsentiert Marie Bachmaier: Aus den Beinen heraus dehnt sich der gesamte Körper zur angespannten Feder.

Lektion 2: Aber worin bitte besteht die Begabung, mit Fäusten die Gegnerin treffen zu wollen? Immerhin bewirbt sich Marie um einen Preis der SZ-Talentiade. Marie wiederholt die Übung in Zeitlupe. Der Trainer fragt: "Sehen Sie, wie die ganze Kraft in den Beinen steckt, wie Marie ihre ganze Bewegung bis zum Schlag aus den Beinen herausholt?" Sie beherrschte diesen Ablauf schon, bevor die erste Schnupperstunde begann. Sie muss ihn nur verfeinern und in explosive Schnelligkeit verwandeln. Deswegen also: Rohdiamant.

Lektion 3: Aus dieser Grundkonstellation heraus entwickelt sich alles andere: die schnellen Täuschungsmanöver, die Fähigkeit, Schlägen auszuweichen und eigene in Kombinationen zu setzen. Und wenn man einen akribisch arbeitenden Trainer wie Mario Stanislaw hat und dazu viel Talent, dann gewinnt man halt nicht nur die Deutsche Juniorenmeisterschaft, sondern wird zur besten Technikerin des gesamten Turniers gewählt. Marie Bachmaier darf Anfang Juli nach Sofia in Bulgarien zur Europameisterschaft.

Lektion 4: Der Trainer beginnt zu schwärmen. "Marie ist enorm ehrgeizig." Er hätte gerne mehr solche Sportler. Sie nickt und erzählt, dass sie eigentlich für ihren Trainingsfleiß nichts kann. Sie empfindet ihn als zu ihrem Naturell gehörig. "Wenn ich nicht an jedem Tag in der Woche trainiere, dann fühle ich mich nicht wohl." Sie hat ein klares Ziel: "Ich will zu den Olympischen Spielen." Ihr Trainer traut ihr es zu: "Sie hat einen Traum." Der Grandsegnieur des bayerischen Boxsports, Manfred Kaltenhäuser, sagt den selben Satz im Telefongespräch. Seit 1972 führt er den BC Piccolo Fürstenfeldbruck, bei dem Marie offiziell gemeldet ist. Sie braucht die Mitgliedschaft, um an offiziellen Turnieren teilnehmen zu können. Die Dachauer Boxschule ist eine private Initiative.

Der ehemalige Sparkassendirektor von Fürstenfeldbruck begleitet Teams zu Europa- und Weltmeisterschaften und organisiert wichtige Turniere auf nationaler Ebene. Marie ist für ihn "eines der großen Talente". Und mehr noch, ein Beleg für einen Trend, den er staunend registriert: "Boxen wird anscheinend bei Frauen als Sport zusehends beliebter." Kaltenhäuser bewundert deren Intelligenz und technisches Vermögen. "Fast alle, die ich kenne, gehen ans Gymnasium oder an die Realschule." Marie Bachmaier besucht eine elfte Klasse in München: Notenschnitt: 1,6. Lieblingsfächer Biologie und Chemie.

Die berufliche Perspektive ist für sie klar. Sie will zur Polizei. In Bayern ist analog zur Bundeswehr die erste Sportstaffel gegründet worden. Dorthin strebt sie nach dem Abitur. Sie hofft auf die Hilfe von Mario Stanislaw und Kathrin Wimberger. Beide sind Polizeibeamte bei der Bereitschaftspolizei in Dachau, und beide sind dort auch als Ausbilder tätig. Noch vor zwei Jahren, als Marie Bachmaier erste Meisterschaften gewann, schwärmte sie vom Käsekuchen. Ihre Ernährung klingt jetzt eher nach Ex-Dortmund-Trainer Thomas Tuchel: "Keine Süßigkeiten, kein Alkohol, keine Weizenprodukte, nur Gemüse, Fisch und etwas Fleisch." Und Party? Sie sagt: "Ausgehen kann jeder." Aber Olympia?

Lektion 5: Marie geht in Kampfposition: Schlagartig wird ihre Dynamik augenscheinlich, und verkörpert ihr Bekenntnis eindruckvoll: "Ich liebe das Kämpfen."

© SZ vom 01.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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