Weihnachtsgeschichten:Nächstenliebe im Rotlicht

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Bordellbesitzer Uwe Ittner und seine Prostituierten sammeln jedes Jahr in der Adventszeit Geld für ein Dachauer Seniorenheim.

Von Benjamin Emonts, Dachau

Auf seiner Webseite wirbt der Salon Patrice mit Magic Moments im Jacuzzi, in dem es - egal bei welcher Witterung - immer heiß wird. Sprüche wie diese gehören einfach zum Etablissement, man könnte sie als Bordell-Rhetorik bezeichnen. Der Rezipient der banalen Anmachen wird nicht in besinnlicher Weihnachtsstimmung schwelgen - so viel ist sicher. Dazu kommt es erst, wenn er ein paar Klicks weiter auf den Adventskalender des Salons stößt. Hinter dessen Türchen kann man durch Beantwortung von Quiz-Fragen Gutscheine der etwas anderen Art gewinnen. Das Bordell, versteckt im Dachauer Industriegebiet, beschäftigt sich wahrhaftig mit Weihnachten und ist deshalb Teil dieser SZ-Serie, die bis Heiligabend Menschen aus dem Landkreis mit ihren persönlichen Weihnachtsgeschichten vorstellt. "Es ist das Fest der Liebe, insbesondere der Nächstenliebe", sagt Uwe Ittner, einst 25 Jahre lang Polizist, jetzt Betreiber des Bordells.

Gemeinsam mit seiner Frau und den Prostituierten, die in seinem Betrieb arbeiten, sammelt Ittner seit zehn Jahren - alle Jahre wieder - Spenden für das evangelische Alten- und Pflegeheim im Friedrich-Meinzolt-Haus. Die Sozialhilfeempfänger des Heims bekommen so 25 Euro Weihnachtsgeld.

Prostituierte bringen das Geld persönlich vorbei

Es kam schon vor, dass Ittner mit einigen Prostituieren - natürlich nicht leicht bekleidet - das Geld persönlich bei den alten Menschen vorbeibrachte. Im Jahr 2006, zum Nikolaustag, servierten sie 146 Heimbewohnern ein weihnachtliches Menü bestehend aus gebratener Entenbrust, Blaukraut und Kartoffelknödeln. Mittlerweile, nachdem ein Journalist des Magazin Spiegel sich kritisch über die alljährliche Bescherung äußerte und die Aktion als werbeträchtigen Ablasshandel bezeichnete, läuft die Übergabe diskreter ab. Über den Salon Patrice und das Altenheim sei infolge der Berichterstattung ein regelrechter "Shitstorm" hereingebrochen, über den sich Ittner heute noch ärgert.

Glaubt man dem 55-Jährigen, so meint er es uneigennützig gut mit den Senioren. Ittner erzählt, wie er vor zehn Jahren in einem Münchner Boulevardblatt gelesen hat, dass die Regierung von Oberbayern den sozial Bedürftigen ihre jährliche Weihnachtsgratifikation in Höhe von 30 Euro gestrichen hatte. Seine Frau und die Prostituierten waren darüber genauso empört wie er selbst. Also fassten sie den Entschluss, den Menschen im Meinzolt-Haus finanziellen Ausgleich zu verschaffen und dafür auch Geld bei den Freiern einzusammeln. Die Idee funktionierte. "Die Leute haben sich alle riesig gefreut. Wir bekommen sogar immer wieder Dankeskarten von Angehörigen", erzählt Ittner, hörbar stolz.

Auch im Bordell gibt es Weihnachtsferien

Inzwischen spenden auch einige Gewerbetreibende aus Dachau, bei denen Ittner Überzeugungsarbeit geleistet hat. Dadurch konnte für den Musikraum des Altenheims ein Konzertflügel gestiftet werden. Ittner, der über seinen beruflichen Werdegang ein Buch veröffentlicht hat, findet, dass die Nächstenliebe gegenüber den alten Menschen nicht vernachlässigt werden darf. Über Weihnachten hat auch sein Betrieb geschlossen. Den Prostituierten, die in seinem Geschäft arbeiten, "ist Weihnachten mit der Familie sehr wichtig", sagt Ittner.

© SZ vom 14.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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