SZ-Serie: Wandel durch Wachstum, Folge 7:Expedition ins Büro

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Die Hauptstraßen im Landkreis sind zu den Stoßzeiten verstopft, die Züge überfüllt, oft haben sie Verspätung. Derweil steigt die Zahl der Pendler im Landkreis weiter an. Der Weg zur Arbeit wird für viele zur Geduldsprobe.

Von Franziska Stolz, Dachau

Sich frühmorgens aus dem Bett zu quälen, ist nie angenehm. Vor allem, wenn man zum Arbeitsplatz noch eine weite Strecke mit Bus, S-Bahn, Zug oder Auto zurücklegen muss. Zusätzlich zu den Stunden im Job müssen Pendler ihre Fahrtwege einrechnen - und die können sich hinziehen. Schienenarbeiten, Straßensperrungen, Zugverspätungen und Stau kosten Zeit und Nerven. Viele Dachauer wissen das, denn Dachau ist ein Landkreis der Pendler: Im Jahr 2017 pendelten laut Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München 84,4 Prozent der sozialversichert Beschäftigten im Landkreis. Davon waren 12 441 sogenannte Binnenpendler, deren Arbeitsort sich noch innerhalb des Landkreises befindet. Der weitaus größere Teil der Pendler, 44 134, überschritt die Kreisgrenzen auf dem täglichen Weg zur Arbeit. 63,1 Prozent dieser Auspendler hatte die Stadt München zum Ziel. Die übrigen fuhren entweder in umliegende Landkreise oder andere Städte.

Schwärmen von Zugvögeln gleich, die jetzt im Herbst große Distanzen zurücklegen, um in wärmere Gebiete zu gelangen, vollziehen immer mehr Pendler aus dem Landkreis solche Wanderbewegungen für ihr täglich Brot. Mobilität meint in vielen Fällen nicht nur die Möglichkeit, sich frei fortbewegen zu können, sondern auch, es zu müssen. Die Gesamtmobilität der Pendler ist im Landkreis zwischen 2007 und 2017 von 54 761 Menschen auf 74 712 gestiegen - also um 36,4 Prozent.

Eine von den Zehntausenden, die sich täglich aus dem Landkreis hinausbewegen, ist Sonja Stern, die seit sechs Jahren als Uhrmacherin in München-Gräfelfing arbeitet, aber mit ihren Eltern in Erdweg lebt. Sie hat Gleitzeit und muss spätestens um halb neun in der Arbeit sein. Ins Auto steigt sie morgens schon um halb sieben, in der Hoffnung bei weniger Verkehr noch einigermaßen gut durchzukommen. "Ohne Probleme brauche ich eine halbe Stunde," sagt Stern. "Meistens ist aber doch ein bisschen Verkehr oder Stopp-and-Go, dann braucht man auch mal eine Stunde."

"Baustellen, Ausfälle oder Verspätungen gibt es eigentlich fast immer"

Stern pendelt seit Ausbildungsbeginn, zunächst waren es nur 15 Minuten innerhalb Münchens. Als ihre Familie kurz darauf in den Landkreis Dachau umzog, musste sie sich an einen deutlich längeren Weg über die A 8 und die A 99 in die Arbeit gewöhnen. "Diese ewigen Autobahnfahrten, die ich davor gar nicht hatte, war am Anfang total nervenaufreibend," sagt Stern. Gerade morgens ist die Strecke, die sie nimmt, oft durch das hohe Aufkommen des Pendlerverkehrs überlastet. "Es ist sehr grenzwertig", sagt sie. "An der Ausfahrt von der A 8 runter auf die A 99 ist es teilweise so voll, dass sich die Leute auf dem Standstreifen anstellen müssen, damit sie überhaupt da rauskommen." Lieber würde Stern mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, aber dafür müsse sie morgens allein 20 Minuten zum S-Bahnhof laufen und wäre dann mit zwei Umstiegen mehr als eine Stunde in der S-Bahn unterwegs.

Einen kürzeren Weg zum Dachauer Bahnhof, dafür aber eine noch längere Fahrt vor sich hat Patrick Bartsch. Er nimmt die S-Bahn zum Hauptbahnhof München. Anschließend fährt er mit der Regionalbahn weiter nach Augsburg, wo er als Rettungssanitäter tätig ist. Eineinhalbstunden dauert diese Strecke normalerweise. "Gefühlt klappt es höchstens an zwei Tagen in der Woche reibungslos, den Rest der Zeit nicht," sagt Bartsch. "Baustellen, Ausfälle oder Verspätungen gibt es eigentlich fast immer. Dann dauert es um die zwei Stunden oder sogar noch mehr. Das nervt gewaltig." Besonders ärgerlich seien diese Reisekomplikationen, weil die Bahn immer damit werbe, die Situation zu verbessern, so Bartsch. Im Pendleralltag machen sich diese Versprechen für ihn allerdings noch nicht genügend bemerkbar: "Man könnte sicher etwas tun, mehr Züge einsetzen, mehr Personal einstellen, sich bemühen, die Pünktlichkeitsrate zu erhöhen."

Auch die Dachauer Bahnpendler brauchen viel Geduld, wenn die S2 wiedermal auf sich warten lässt (Foto: Niels P. Jørgensen)

Wenn Bartsch bis 20 Uhr Schicht hat und die Regionalbahn ausfällt, muss er eine Stunde warten, bevor er seinem ohnehin späten Feierabend entgegenfahren kann. "Im schlimmsten Fall geht gar nichts mehr, und ich muss mich abholen lassen. Ich habe sogar schon mal ein Taxi nehmen müssen am Ende." Die Strecke nach Augsburg mit dem Auto zu fahren, wäre keine Option für Bartsch, weil er keinen Führerschein hat.

Nicht jeder kann auf die Bahn umsteigen

Dagegen ist für Bürokauffrau Ramona Zieschank das Auto als Fortbewegungsmittel nicht wegzudenken. Regulär pendelt sie von Dachau Ost zur Arbeit nach Planegg in München. Jede zweite Woche muss sie noch eine Schleife über Fürstenfeldbruck fahren, um dort ihre Tochter von ihrem Ex-Mann abzuholen. Zieschank ist froh, morgens im Auto Ruhe zu haben und mit den eigenen Gedanken allein sein zu können, anstatt in überfüllten Bussen oder Bahnabteilen zu sitzen. "Lieber fahre ich mit dem Auto als mit öffentlichen Verkehrsmitteln, allein wegen meiner Tochter würde das gar nicht anders gehen."

Auf der Strecke direkt in die Arbeit über Gröbenried, Gröbenzell und die A 99 braucht Zieschank eine halbe bis Dreiviertelstunde, je nach Verkehrslage. "Es dauert häufig länger," sagt Zieschank. "Von fünf Tagen in der Woche ist an dreien Stau." Mit der S-Bahn würde sie trotzdem noch länger brauchen.

Umziehen wäre eine Option - wenn man es sich leisten kann

Zieschank, die seit sechs Jahre pendelt, stellt durchaus fest, dass sich die Verkehrssituation verändert hat. Die wirklichen Probleme mache Zieschank zufolge nicht das erhöhte Verkehrsaufkommen, sondern die Autofahrer, die den Verkehrsfluss stören, weil sie zum Beispiel mit 70 Kilometer pro Stunde über die Autobahn zuckeln. "Es ist durchaus mehr Verkehr, das merkt man, aber ich denke, wenn alle umsichtig fahren, kann man aktuell schon noch mit der Situation umgehen," so Zieschank.

Insgesamt findet es Zieschank nicht schlimm zu pendeln: "Längere Strecken zur Arbeit fahren war für mich noch nie ein Problem." Anders empfindet Bartsch das tägliche Hin und Her: "Ich würde gerne nach Augsburg ziehen, wenn es nicht so schwierig wäre, dort eine Wohnung zu finden." Sonja Stern würde sich die Fahrzeit zur Arbeit zwar lieber sparen, zurück nach München ziehen wird sie aber nicht. "Im Dachauer Umland ist die Lebensqualität einfach höher," sagt Stern. "Du bist auf dem Dorf, die Menschen sind viel herzlicher. Und dann in der Früh vom Bauernhofhahn nebenan geweckt zu werden, das ist schon cool."

© SZ vom 23.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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