SZ-Serie: Geschichten aus dem Dachauer Land:Ein modernes Idyll

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Puchschlagen ist ein Weiler mit einer langen bäuerlichen Tradition, die auf das Ludwig-Thoma-Vorbild Peter Loder zurückreicht. Die Sedlmairs zeigen, wie Landwirtschaft funktionieren kann. Das Gemeinschaftsleben funktioniert, und die Kirche ist das geistige Zentrum

Von Dorothea Friedrich, Schwabhausen

Was wäre wohl aus unser aller Ludwig Thoma geworden, hätte er nicht Peter Loder aus Puchschlagen kennen und schätzen gelernt? Der "edle, kernige Bauer", wie es in einem Nachruf auf Loder in den Münchner Neuesten Nachrichten von 1911 hieß, war das literarische Vorbild für die namensgebende Hauptperson in Thomas erstem Roman "Andreas Vöst". Heute erinnert im 300-Einwohner-Dorf Puchschlagen fast nur noch die "Andreas-Vöst-Straße" an den "Schullerbauern aus Erlbach" und dessen verzweifelten Kampf für eine gerechte Agrarpolitik und gegen einen bigotten Pfarrer. Elisabeth Böswirth erzählt diese Geschichte begeistert. Die 78-jährige ehemalige Berufsschullehrerin kennt sich in der Ortshistorie bestens aus und ist die Expertin für die Kirche Sankt Kastulus. Dazu später mehr.

Bleiben wir zunächst bei den Landwirten von Puchschlagen. Davon gibt es überraschend viele in dem kleinen Ort. Simon Sedlmair ist einer von ihnen. Neun Betriebe zählt er auf, darunter Milchviehhalter, Ackerbauern und Hühnerzüchter. Die Vermutung, Puchschlagen habe die größte Hofdichte weit und breit, ist also gar nicht so abwegig. Da hüpft das landwirtschaftlich sozialisierte Herz vor Freude. Vor allem, weil man hier offensichtlich noch bäuerliche Hofwirtschaft betreibt und mit der Zeit geht - oder ihr sogar ein wenig voraus ist. Wie beispielsweise die Sedlmairs.

"Da haben die Tier a Freud"

Nach einem Blitzexkurs über die Vorteile seines braunen Fleckviehs ("Zweinutzungsrasse, gibt Fleisch und Milch, ist langlebig") und einer spannenden Lehrstunde in Sachen Gentechnikfreiheit, Zertifizierungen, Regionalität bis hin zum Futtermittel Soja und Milchvermarktung ("Die Regionalmarken von Discountern werden auch mit unserer Milch hergestellt") geht es in den artgerechten, hochmodernen Stall. "Da haben die Tier a Freud", sagt Simon Sedlmair und schaut liebevoll seine 300 vor sich hin mampfenden Kühe an. Eine solche Begeisterung über seine "verrückten Ideen" und die seiner Söhne Matthias und Simon in Sachen Stallneubauten und Tierwohl findet man selten. Sie erinnert ein wenig an die Romanfigur Andreas Vöst. Allerdings haben die Sedlmairs nicht verbissen gegen einen Pfarrer gekämpft, sondern alle möglichen Behörden auf ihre Art von der Sinnhaftigkeit ihrer Pläne überzeugt. Aber das ist eine andere Geschichte.

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(Foto: Toni Heigl)

Die Sedlmeirs und ihre 300 Kühe im modernen Stall.

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(Foto: Toni Heigl)

Die Kirche Sankt Kastulus.

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(Foto: Toni Heigl)

Das alles ist Puchschlagen, ein Weiler der Gemeinde Schwabhausen.

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(Foto: Toni Heigl)

Ländlich und doch mitten im Landkreis Dachau gelegen.

Machen wir uns auf den Weg durchs Dorf hin zu dessen Hauptattraktion: Sankt Kastulus. Der Weg führt vorbei am kleinen, alten und neuen, großen Feuerwehrhaus nebst einem einladenden Bürgerhaus von überschaubarer Größe. Es ersetzt ein Wirtshaus, so wie ein schmucker Selbstbedienungshofladen und eine Milchtankstelle zumindest teilweise den fehlenden Lebensmittelladen ersetzen. Angesichts der Vielzahl der Vereine, die das Dorfleben prägen, ist das Bürgerhaus unverzichtbar.

Allein die Freiwillige Feuerwehr hat 50 aktive und passive Mitglieder, dazu gibt es noch den Gartenbauverein, den Krieger- und Soldatenverein sowie den Schützenverein. "Da ist eine Fahnenweihe schon mal ein Problem", sagt Simon Sedlmair. Gut nachvollziehbar, wenn gefühlt jeder Puchschlagener gleich in mehreren Vereinen Mitglied ist. Und vielleicht ins Grübeln kommt, welche Insignien zu welchem Großereignis im kleinen Dorf zu wählen sind.

Erstmals erwähnt wurde Puchschlagen schon im Jahr 814

Da ist zudem Multitasking gefragt, wie etwa bei Korbinian Papst. Er war mehr als 20 Jahre lang Vorsitzender der Kirchenverwaltung, über ein Jahrzehnt stand er dem Gartenbauverein vor, war jahrelang im Vorstand der Feuerwehr, teilweise als deren erster Kommandant, und ist seit 1989 im Vorstand des Krieger- und Soldatenvereins. Dafür wurde er im vergangenen Jahr mit der Schwabhausener Bürgermedaille geehrt. Warum Schwabhausen? Weil Puchschlagen seit der Gebietsreform von 1971/72 Ortsteil dieser Gemeinde ist, so wie die ebenfalls früher selbstständigen Dörfer Arnbach, Oberroth, Rumeltshausen und seit 1978 Machtenstein. Dabei hat Puchschlagen eine eigene lange Geschichte. Eine kleine Tafel am Feuerwehrhaus erinnert an die 1200-Jahrfeier von 2014. Als "Sumpflache bei den Buchen - Pohosolaga" wurde der Ort 814 erstmals in einer Urkunde erwähnt. Sie behandelte die Überlassung eines Bethauses an die Freisinger Kirche. Womit wir endlich am etwas außerhalb der Ortschaft idyllisch gelegenen Gotteshaus nebst Friedhof angekommen sind. Sie spielt im Dorfleben auch heute noch eine wichtige Rolle, auch wenn längst nicht mehr jeden Sonntag ein Gottesdienst stattfindet.

Eine Möglichkeit, auf dem Bauernhof einzukaufen. (Foto: Toni Heigl)

Davon erzählt Else Strasser, die gerade die Blumenpracht auf dem Familiengrab wässert. Sie hat keine Zeit für die Bilderbuchaussicht vom Bankerl aus: Felder und Wiesen, grasende Kühe, Trauerweiden, die sich sanft in der Spätsommerluft wiegen, ein Hibiskus, der tapfer gegen die benachbarten Maisfluten anblüht. Ein Ort zum Runterkommen oder wie Else Strasser schwärmt: "Das ist so schön hier. Ich bin gerne hier. Und die Kinder haben hier Fahrradfahren gelernt." Natürlich nicht auf dem Kirchengelände, sondern auf dem kleinen Parkplatz und der schmalen Zufahrtsstraße.

Die alten Grabsteine kann man lesen wie eine Dorfchronik

Für Else Strasser sind die Familiengräber mit ihren teils altmodischen Inschriften wie etwa "Landwirtsgattin von hier" oder die "Wagnerm.Gattin v. hier" so etwas wie eine Dorfchronik. Die Grabsteine seien im Laufe der Zeit erneuert worden - und bieten praktischerweise Platz für weitere Inschriften. "Schließlich haben sie einen Haufen Geld gekostet", sagt Else Strasser. Doch der Platz für Namen und Sterbedaten wird wohl nicht so schnell gefüllt werden: "Hier wird man alt. Hier geht das Leben noch anders", sagt sie sehr bestimmt.

Ein Beweis dafür ist Peter Prasser. Der 78-Jährige versieht nicht nur mit vier weiteren Dorfbewohnern den Mesnerdienst. Er hält auch den Friedhof in Ordnung, mäht Gras, sorgt sich um den Kiesbelag. "Der war früher rund, jetzt haben wir gebrochenen Kies auf meinen Vorschlag hin", erzählt er. Warum? Weil auf den runden Kieselsteinen die alten Leute so leicht ausgerutscht seien. "Und es kommen ja fast nur noch alte Leute hierher", sagt er ein wenig wehmütig.

Dabei ist Sankt Kastulus ein echtes Schatzkästchen. Kirchenführerin Elisabeth Böswirth kennt jedes Detail des normalerweise verschlossenen Gebäudes mit dem markanten Turm und der fast anheimelnden Innenausstattung aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die viel gerühmten Deckengemälde sind ein wahres Bilderbuch christlicher Mythologie und erzählen auch vom Leben des Kirchenpatrons Kastulus, der im dritten Jahrhundert zur Zeit der Christenverfolgung gelebt hat. Seine Statue schmückt den Hochaltar. Kirchenexpertin Böswirth kann aber noch ganz andere Geschichten erzählen, wie etwa die vom Kirchenraub im Jahr 1973. Damals verschwanden die Figuren des heiligen Blasius und des heiligen Egidius. 1976 wurden sie unter weiterem Diebesgut sichergestellt, wurden vorübergehend im Freisinger Diözesanmuseum deponiert und kamen erst 1992 nach Einbau der Alarmanlage wieder an ihren angestammten Platz.

Dort könnten sie, wenn sie denn könnten, am Sonntag 18. Dezember, Ludwig Thomas "Heilige Nacht" hören und einen Gruß an Andreas Vöst alias Peter Loder in himmlische Gefilde senden.

© SZ vom 13.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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