SZ-Serie: Geschichten aus dem Dachauer Land, Folge 12:Idylle an der Autobahn

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An Palsweis donnert der Verkehr zwischen München und Stuttgart entlang. Das Dörfchen selbst hat fast nur Sackgassen, keine Läden, dafür aber eines der schönsten Kirchlein im ganzen Landkreis Dachau

Von Petra Neumaier, Bergkirchen

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(Foto: Toni Heigl)

In der Kirche St. Urban können Besucher das Weihwasserbecken bewundern, das Anwohnerin Magdalena Dahmen selbst getöpfert hat.

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Der prunkvolle Altar lohnt einen Besuch in Palsweis.

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(Foto: Toni Heigl)

Magdalena Dahmen lebt schon immer in Palsweis. Es gebe keinen Grund, wegzugehen, findet sie.

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(Foto: Toni Heigl)

Josef Lindermüller ist ebenso gern ein Teil der Palsweiser Gemeinschaft. In seinem Garten verbringt er viel Zeit. Überhaupt scheinen die Palsweiser alle einen grünen Daumen zu haben.

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(Foto: Toni Heigl)

Grüne Idylle: Sorgsam hat Lindermüller die Pflanzen in seinem Garten gepflegt.

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(Foto: Toni Heigl)

Allein die Gärten lohnen den Besuch in Palsweis.

So still, so unscheinbar liegt Palsweis neben der grollenden Autobahn, dass man es glatt übersieht. Nur für einen Bruchteil einer Sekunde sausen im Augenwinkel die weiß getünchten Häuser mit ihren roten Dächern vorbei. Und vielleicht, aber wirklich nur vielleicht, bleibt noch die Kirche mit ihrem wuchtigen Wehrturm ein wenig länger im Gedächtnis haften. Palsweis, Teil der Gemeinde Bergkirchen, ist ein gewöhnliches bayerisches Dorf. Das sich an den Rand und ein bisschen auf der Hügelkette kuschelt. Und wo man von fast jedem Fenster aus entweder weit über das brettlflache Alpenvorland oder auf wellige Landschaften blickt. Erst beim Halt, beim Ratsch mit den fleißigen Bewohnern, beim Besuch des außergewöhnlich schmucken Kirchleins, beim Spaziergang durch die wenigen Straßen erliegt man seinem Zauber. "Wer einmal in Palsweis wohnt", sagt Magdalena Dahmen, "der bleibt". Und dabei lacht die 88-Jährige so fröhlich, dass man allein schon ihretwegen nicht mehr gehen mag.

Vier Straßen führen nach Palsweis hinein - und wieder hinaus: Eine von Priel, eine auf halber Strecke zwischen Eisolzried und dem Gada-Gewerbegebiet, eine von Palsweis-Moos, respektive Gernlinden-Ost, und eine von Thal. Und alle enden in der einzigen Durchgangsstraße, die neben einem kleinen Sträßchen die einzige ist, die nicht in einer Sackgasse oder einem Feldweg endet.

Doch bevor es zu einem Spaziergang in den Ort hineingeht, geht es noch einmal kurz hinaus. Nach Palsweis-Moos, das dort anfängt, wo Gernlinden-Ost aufhört und wo, wie der Name schon sagt, viel Mooslandschaft zu sehen ist. Außer ein paar verstreuten Häusern. Und einer Schulbushaltestelle. Und einer wehenden FC-Bayern Flagge im Garten. Hier und da steht sogar ein Bayerischer Steinlöwe auf dem Sockel. Ansonsten: nix los. Wenn nicht gerade die Straße mal wieder zur Rennstrecke wird. Deswegen geriet Anfang des Jahres ein Autofahrer mit 188 Stundenkilometern in die Radarfalle - und der Ortsteil damit in die Schlagzeilen! Genau vor 140 Jahren machte übrigens eine andere Begebenheit in Palsweis in der Presse Furore: Da fiel der Müller bei seiner Hochzeit mitsamt Braut, Hochzeitsgespann, Brautjungfer, Hochzeitslader und Kutscher durch die Brücke und in die Maisach. Aber das ist eine andere Geschichte.

Über die, zum Glück längst nicht mehr hölzerne Brücke, fährt man sicher nach Palsweis hinein, vorbei an einem großen Grundstück, auf dem friedlich ein Nandu und zwei Alpakas am Gras zupfen. Schräg gegenüber zieht das Bürgerhaus die Blicke auf sich. Einladend ist die Terrasse an der vorbeischlummernden Maisach, gepflegt die drei Stockbahnen der Schützen. An dem frühen Nachmittag ist hier allerdings noch nichts los. Dafür kreischt gegenüber eine Kreissäge. Der Lärm fällt aber bei den Bewohnern nicht besonders ins Gewicht. Sie sind es ja gewohnt, Tag und Nacht mit dem Dauergrollen der nahen Autobahn beschallt zu werden. "Seit der Lärmschutzwand ist es viel besser, nur bei Ostwind ist es arg", sagt Josef Lindermüller, dessen Namen es noch mehrfach in dem kleinen Ort gibt. Weil hier die Söhne nach dem Vater heißen. Und weil sie meist bleiben.

In Palsweis geboren, aufgewachsen und geblieben ist auch der heute 60-Jährige. "Wieso hätt' ich wegziehen sollen", lacht der Rentner, der 30 Jahre lang zur Arbeit nach München pendelte. Jetzt arbeitet er im Garten, der so bunt und gepflegt ist, wie eigentlich alle Gärten in Palsweis, und deren Anblick alleine den Besuch lohnt. 28 Häuser, erinnert sich Josef Lindermüller beim Schneiden und Zupfen, hätte es früher im Ort gegeben, dazu ein knappes Dutzend Bauernhöfe. Drei davon seien übrig. Die anderen wurden in Wohnungen umgebaut oder durch neue Häuser ersetzt. Es wird gebaut, in Palsweis. Wenn auch kontrolliert und moderat. "Das Dorf ist ein beliebter Wohnort", erzählt eine weitere fleißige Gärtnerin. Trotz steigender Grundstücks- und Mietpreise. Und obwohl es in dem kleinen Ort keine Geschäfte, keinen Arzt, keinen Bäcker oder Metzger gibt.

Das mit den fehlenden Geschäften sei ja nicht so schlimm. In Lauterbach und im gar nicht so fern gelegenen Gewerbegebiet gibt sie. Die Nachbarschaft ist außerdem freundlich und hilft gerne aus. Und überhaupt sind die Palsweiser ja überwiegend, was Gemüse und Obst anbelangt, Selbstversorger. Die Grundstücke sind groß, da ist Platz für Kohl, Salat und Bohnen und an den alten Apfelbäumen hängen rotbackige Früchte. Bei der netten Dame watscheln sogar sechs weiße Enten im Garten. "Geschlachtet und gegessen werden die", lacht die gebürtige Prittlbacherin, die vor 53 Jahren in die Landwirtschaft ihres Mannes eingeheiratet hat. So einfach ist das.

Die Arbeit auf dem Hof war das weniger. Kühe und Mutterschweine hatte die Familie, im Jahr 2000 musste der Betrieb aufgegeben werden, wie so viele in Palsweis. Nur der Nachbar hat noch Kühe im Stall, die friedlich vor sich hin kauen. Oben am Berg fährt ein Traktor mit Mist in einen Hof, gegenüber befindet sich in einem hübschen Bauernhof eine Schreinerei. In der Nähe liegen die beiden Bushaltestellen. Neun Busse am Tag fahren auf der einen Seite Richtung Odelzhausen, neun auf der anderen nach Dachau. Die Richtung Dachau hat ein kleines Wartehäuschen - die andere dafür Zigaretten- und Kaugummiautomaten.

Gleich hinter dem Dorf führt die Straße zu einem kleinen Ableger, der wie ein Tropfen und nur verbunden durch die Straße am Hauptort hängt. Die beiden einzigen Wege sind auch hier Sackgassen, die an einer winzigen Kapelle beginnen: Bücken muss man sich und aufpassen, nicht in das Netz der riesigen Spinne zu geraten, will man die Intarsien hinter dem Holzgatter näher anschauen.

Zurück geht der Rundweg über die einzige, außer der Durchgangsstraße, Nicht-Sackgasse, der Taxerstraße. Vorbei geht man hier an heimeligen Einfamilienhäusern, die nie eins wie das andere aussehen, und ihren wunderhübschen Gärten, in denen häufig Brunnen plätschern. Mit freiem Blick zu den Feldern befindet sich hier sogar ein kleiner öffentlicher Spielplatz! Die Sehenswürdigkeit des Ortes liegt aber auf der anderen Seite des Hügels: die Kirche St. Urban. Umrahmt von einem kleinen und recht übersichtlichen Friedhof und seiner bröckeligen Mauer, wacht sie friedlich über dem Tal. Ihre Tür ist verschlossen. Die Mesnerin und Magdalena Dahmen haben den Schlüssel und schließen gerne jedem Besucher auf. Zurecht voller Stolz: Wunderhübsch ist das Innenleben und so vielseitig, dass die Beschreibungen im Kirchen- und Kapellenführer des Landkreises mehrere Seiten füllen. Herrlich sind die Altarbilder, beeindruckend der Opferstock von 1693, den mit seinen riesigen Schlössern so schnell keiner knacken kann.

Was sich heute wohl auch nicht mehr lohnen würde. Zwar läuten dreimal täglich die drei Kirchenglocken, aber nur alle paar Wochen finden hier noch Gottesdienste statt. Ab und zu mal eine Taufe. Oder Hochzeit der Dorfbewohner. Das wohl aber sehr selten. "Die jungen Leut wollen ja heut nimmer heiraten", sagt die Kirchenführerin und schwärmt dann lieber vom Engelamt vor Weihnachten, wenn die Kirche nur von brennenden Kerzen beleuchtet ist. Die waren allerdings 1975 schuld daran, dass die Kirche in Brand geriet und ordentlich saniert werden musste. Über das Wie der letzten Sanierung von 2000/2001, nun ja, darüber seien viele Palsweiser bis heute nicht glücklich. Abgesehen von der Feuchtigkeit, durch welche die dicken Wände bereits erneut mit grünem Schimmel überzogen sind.

Hinter einer der Wände verbirgt sich jedoch das spannendstes Kapitel des Ortes: Ein Geheimgang. Gleich hinter dem Beichtstuhl soll er sein. Wohin er führt? Magdalena Dahmen weiß nur vom Hörensagen von Vermutungen, dass er bis Eisolzried reicht. Getraut hätte sich noch keiner, ihn zu gehen. Auch ihr Mann nicht, der doch sogar eine Chronik über Palsweis geschrieben hat. Vielleicht ist der Gang nur eines der 15 im Landkreis Dachau bekannten Schrazllöcher? Wo sich Menschen versteckten oder Tote auf ihre Auferstehung warteten? Wer weiß das schon so genau, wenn sogar die Wissenschaftler nur vermuten.

Magdalena Dahmen jedenfalls weiß genau, dass sie Zeit ihres langen Lebens glücklich in Palsweis war. Und es noch immer ist. Mit Autobahnlärm. Und ohne Geschäfte. Die ihr letztendlich zu einem besonderen und sehr kunstvollen Hobby verholfen haben: dem Töpfern. Das schöne Weihwasserbecken und die Taube am Altar in der Kirche sind von ihr. Trotz ihres bereits hohen Alters ist sie jeden Tag an ihrem Arbeitsplatz und am Ofen zu finden. Magdalena Dahmen zuckt nur mit den Schultern. "Ja mei", sagt sie und lacht ihr fröhliches Lachen. "Läden gibt's ja nicht und man kriegt doch so viel im Leben geschenkt. Da mag ich dann auch was zurückgeben."

© SZ vom 11.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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