SZ-Serie: Dampf unterm Deckel, Folge 2:Neue Genüsse in karger Zeit

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Das Huttermuseum hat Rezepte von Menschen gesammelt, die in der Nachkriegszeit aus Ländern im Osten fliehen mussten. Viele der damals neuen Gerichte sind heute auch fester Bestandteil der deutschen Küche. Eine kulinarische Spurensuche

Von Hannelore Zeller, Erdweg

Viele handgeschriebene Familienrezepte wurden auf der Flucht aus der Heimat mitgebracht, zunächst an die nachfolgende Generation weitergereicht und später auch Teil der Rezeptsammlung des Huttermuseums. (Foto: oh)

Viele Deutschstämmige mussten gegen Ende des Zweiten Weltkrieges ihre Heimat in den östlichen Ländern wie zum Beispiel Rumänien, Ungarn oder Polen vor der heranrückenden russischen Armee als Flüchtlinge verlassen. Nach Kriegsende wurden Deutsche in großer Zahl aus den Ländern im Osten, etwa aus Jugoslawien oder aus der Tschechoslowakei vertrieben. Zwölf Millionen Menschen kamen in das zerstörte Deutschland und wurden zwangsweise in Dörfern und Städten bei den Bewohnern einquartiert. Da wurde es eng in den Häusern und Wohnungen, auch im Landkreis Dachau. Die Neubürger sprachen zwar die gleiche Sprache, brachten aber doch eine andere Kultur und Lebensweise mit, das führte oft zu Spannungen.

Hannelore Zeller, Vorsitzende des Huttermuseums. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Zugezogenen aus dem Osten brachten aber auch eine andere Esskultur mit, etwa in die Landkreisgemeinde Erdweg. Für die Gerichte aus der ehemaligen Heimat wurden die Zutaten mühsam beschafft. In Bayern waren nämlich damals viele Früchte und Gemüsesorten unbekannt oder wurden bisher nicht verwendet, wie Mohn, Mais, Knoblauch, Paprika, Kürbis, Auberginen oder Melonen. Allmählich fanden sie den Weg in Gärten, Läden und Kochtöpfe. Bereits erstmals 2009 stellte eine Ausstellung im Huttermuseum dar, was die Menschen, die nach 1945 als Flüchtlinge oder Vertriebene nach Großberghofen gekommen waren, kulinarisch Neues mitgebracht hatten. Denn viele handgeschriebene Familienrezepte waren auf der Flucht aus der Heimat mitgebracht und in Ehren gehalten worden.

Auch spätere Migrationsbewegungen, wie die sogenannten Gastarbeiter aus Italien, Griechenland oder der Türkei und heute auch die arabische und asiatische Küche veränderten über die Jahrzehnte immer wieder die Essgewohnheiten in Bayern und ganz Deutschland. Ausländische Küche wird heute aus dem Urlaub mitgebracht oder in vielen Gaststätten und speziellen Restaurants angeboten, die Speisekarten sind weltoffen und sehr vielfältig. Dieser Austausch und das Interesse an der Esskultur der Zugezogenen trägt im Übrigen bis heute im weitesten Sinn schließlich auch zur Integration der Neubürger bei.

Das Schmorgericht Djuvec. (Foto: oh)

Seine Anfänge nahm dieser kulinarische Austausch aber eben schon viel früher, als den meisten bewusst sein dürfte: Jede Landsmannschaft verfügte über spezielle Rezepte, die nach dem Krieg die Erinnerung an die alte Heimat und ihren Geschmack bewahrten. So setzte man der verlorenen Heimat ein kulinarisches Denkmal. Stolz wurden deshalb damals auch diese Rezeptsammlungen für die Ausstellung im Huttermuseum zur Verfügung gestellt. Und so kam es, dass sich auch Einheimische allmählich für Speisen wie Bowidltatschkerl, Schlesisches Himmelreich, Donauschwäbische gefüllte Paprikaschoten, Djuvec aus der Batschka, Siebenbürger Grammelbogatschen oder Banater Topfenpalat-schinken interessierten, um nur einige wenige zu nennen. Dazu kamen viele leckere Kuchen- und Torten, die ursprünglich aus der Tradition der Mehlspeisen aus Österreich-Ungarn stammten. Auch die Küche des Sudetenlandes, des Balkans oder Ungarns hielt damals langsam Einzug in Bayern und bereicherte den kargen Speiseplan der Nachkriegszeit. Dazu zählt etwa Crempita, eine Spezialität aus Banat in Rumänien: Das Gebäck besteht aus zwei bis drei mit Vanillecreme gefüllten Blätterteigblättern, welche mit Puderzucker bestäubt werden oder Djuvec, ein Schmorgericht mit Reis, Fleisch und Gemüse aus der Batschka in Serbien. Himmlisch anders!

Die Süßspeise Crempita. (Foto: Huttermuseum Großberghofen)

Bis zum "Tag der Regionen" am Sonntag, 3. Oktober, der unter dem Motto "Aufgekoch'd weard im Dachauer Land - dieses Ma(hl) regional" steht, gibt es an dieser Stelle jede Woche einen Gastbeitrag eines kleinen Museums aus dem Dachauer Land, der sich rund um die Kulturgeschichte des Essens dreht.

© SZ vom 04.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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