Streit unter Asylbewerbern:Eine Frage der Nervenstärke

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Ein Prozess um einen Angriff mit einem Kaffeelöffel

Von gregor schiegl, Dachau

Auf der Anklagebank des Dachauer Amtsgerichts fanden sich jüngst zwei Bewohner einer Dachauer Flüchtlingsunterkunft wieder. Gefährliche Körperverletzung, lautete der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Die Verhandlung zeigte aber bald, dass es sich den beiden jungen Männern, einer 21, einer 22, wohl nicht um gemeingefährliche Gewalttäter handelt, sondern um Leute, die sich in den beengten Wohnverhältnissen einer Asylbewerberunterkunft schwer gegenseitig auf die Nerven gehen und ihre Konflikte nicht immer so regeln, wie Erwachsene das eigentlich tun sollten.

Im Januar waren die beiden in der Unterkunft aneinandergeraten und fügten sich gegenseitig Verletzungen an Auge, Ohr sowie an der Wade zu. Bei Gericht machten allerdings beide Angeklagte von ihrem Recht Gebrauch, keine Angaben zu dem Vorfall zu machen. Den später herbeigerufenen Polizisten hatten beide jeweils eine völlig andere Geschichte vom Hergang aufgetischt, sodass Richter Daniel Dorner wenig Chance sah, den Vorfall noch aufzuklären. Auch der Staatsanwalt stellte fest, dass beide wohl kein besonderes Interesse an einer Strafverfolgung des anderen hatten.

Der zweite Vorwurf betraf nur den 22-jährigen Angeklagten. Der war im Dezember 2016 mit seinem sieben Jahre älteren Mitbewohner und Landsmann in Streit geraten, weil der berufstätige Mann spätabends noch einen dienstlichen Telefonanruf auf dem Handy angenommen hatte. Das störte den Angeklagten. Er forderte seinen Mitbewohner auf, das Gespräch zu beenden. Nachdem er das nicht tat, kam es offenbar zum Streit, bei dem der Ältere an Auge und Lippe verletzt wurde. Weil der Angeklagte dabei einen Löffel in der Hand hielt, war die Tat als gefährliche Körperverletzung angeklagt. Das Auge schmerzte noch zwei Wochen. "Und manchmal habe ich das Gefühl, ich sehe Sterne."

Allerdings konnte sich der Geschädigte im Zeugenstand nicht erinnern, ob er von dem Löffel überhaupt getroffen worden war. Zudem stellte sich heraus, dass das vermeintlich gefährliche Tatwerkzeug ein kleiner Kaffeelöffel war. Der Sicherheitsdienst der Unterkunft rief die Polizei, bei der der Leichtverletzte auch Anzeige erstattete. Einige Tage später soll der Angeklagte ihm gedroht haben, ihn umzubringen. Obwohl der 22-Jährige keine Angaben zur Sache machen wollte, sagte er immer wieder laut, was der Zeuge angegeben habe, sei alles gelogen. Als der Richter den Vorschlag machte, das Verfahren gegen 40 Stunden sozialer Dienste einzustellen, sträubte er sich weiter und beteuerte seine Unschuld. Erst als Dorner ihm klar machte, dass er angesichts der dokumentierten Verletzungen des Angeklagten nicht mit einem Freispruch rechnen könne und auch bei einer Verurteilung wegen einfacher Körperverletzung mehr auf ihn zukomme als 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit, lenkte er ein. Das Opfer berichtete, er habe gleich nach dem Vorfall die Verlegung in ein anderes Zimmer beantragt. Doch noch jetzt, acht Monate später, warte er auf die Antwort der Behörde. Inzwischen scheint das Zusammenleben der beiden besser zu klappen. Es gab keinen Streit mehr zwischen den beiden. Das Verfahren gegen den 21-Jährigen wurde ohne Auflage eingestellt. Trotzdem ermahnte Richter Daniel Dorner die beiden Heranwachsenden: "Sie sind nach Deutschland gekommen, um hier in Frieden zu leben. Dann sollten Sie auch keine Gewalt hereintragen." So etwas dürfe nie wieder vorkommen.

© SZ vom 05.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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