Firmen verlassen die Kreisstadt:Exodus

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Maytec mit 80 Arbeitsplätzen verlässt Dachau und zieht nach Olching, weil die Stadt nicht zügig genug das Gewerbegebiet an der Siemensstraße entwickelt habe. Thorlabs mit 160 Angestellten bevorzugt Gada in Bergkirchen. Autoliv gibt Produktionsstandort auf

Von Viktoria Großmann, Dachau

Es ist eine weitere schlechte Nachricht für die Große Kreisstadt. Nicht nur der Zulieferbetrieb Autoliv schließt seine Produktionsstätte an der Theodor-Heuss-Straße. Auch die Firma Maytec gibt ihren Standort an der Siemensstraße auf und siedelt vollständig nach Olching über. Der Umzug soll bereits zum Jahreswechsel stattfinden, das Unternehmen für Aluminium-Systemtechnik hat Stellen für das dann größere Werk ausgeschrieben. Derzeit gibt es etwa 80 Beschäftigte am Standort Dachau. Noch vor einem Jahr hieß es, durch die Erweiterung im neu ausgewiesenen Gewerbegebiet Südlich Siemensstraße könnten in Dachau bis zu 50 neue Arbeitsplätze entstehen. Dabei bleibt es, doch wandern diese nun samt Gewerbesteuereinnahmen nach Olching im Landkreis Fürstenfeldbruck ab. Auch das Elektronikunternehmen Thorlabs mit etwa 160 Mitarbeitern wird Dachau verlassen und ins Gewerbegebiet Gada nach Bergkirchen ziehen. Es will sich vergrößern und ebenfalls bis zu 50 neue Stellen schaffen.

Vor zwei Jahren hatte die Stadt begonnen, die Ausweisung einer 2,8 Hektar großen städtischen Fläche zwischen Siemensstraße und Schleißheimer Straße als Gewerbegebiet voran zu treiben. Die Grünen im Stadtrat waren immer dagegen, letztlich wurde der Beschluss dafür jedoch mehrheitlich gefasst. Nutznießer sollten im Wesentlichen die Firmen Maytec und NAT sein. Deren Geschäftsführer waren auch jeweils auf den Bürgerinformationsveranstaltungen zugegen. Anwohner befürchteten mehr Verkehr und mehr Lärm. Die Bürgerinitiative Grünzug wetterte gegen den Flächenfraß. Doch die Stadt braucht Gewerbeflächen - allein schon wegen der nötigen Steuereinnahmen. Und auch, weil die Nachfrage da ist, aber kurzfristig nicht bedient werden kann.

"Wir arbeiten an der Kapazitätsgrenze"

Die Kleinstadt Olching kann das. Dort entsteht direkt an der Autobahnausfahrt ein neues, großzügiges Gewerbegebiet. Straßen, Wege, Logistikflächen - alles vorhanden. "Dort ist alles schon fertig, hier haben wir noch immer nur eine Wiese vor der Haustür", heißt es aus der Geschäftsführung von Maytec. "Wir arbeiten an der Kapazitätsgrenze." Maytec rechnet mit einer Verdopplung der Produktion. Das Unternehmen ist im Sondermaschinenbau als Betriebsausrüster tätig, besonders für die Automobilbranche. Geschäftsführer Dieter Ley bringt es auf den Punkt: "Jede Firma hat Teile von uns." Zuletzt musste die Firma zu Überbrückung bereits zusätzliche Räume anmieten. In Dachau hätte eine weitere Halle entstehen können, in Olching gibt es einen kompletten Neubau. "Wir können Abläufe optimieren, das Gesamtpaket ist einfach besser." Schon im Dezember sollen die Mitarbeiter ihre Kisten packen. "Wir haben fünf Jahre gewartet und lange genug kommuniziert, dass wir unter Zeitdruck stehen", sagt der Geschäftsführer. "Die Stadt hat sich bemüht."

Gereicht hat das nicht. Immerhin: An der Siemensstraße scheint keine Brache zu entstehen. Denn Autoliv wird zwar seinen Produktionsstandort bis Mitte 2019 schließen, allerdings hat der schwedisch-amerikanische Konzern bereits angekündigt, an der Siemensstraße ein neues Technologiezentrum bauen zu wollen - allerdings wohl nicht auf den städtischen Flächen. Auf die Frage, wie viele und ob überhaupt am Entwicklungsstandort neue Arbeitsplätze entstehen sollen, antwortet ein Unternehmenssprecher kryptisch. Man will weder versprechen noch ausschließen. In Dachau werden bislang noch Airbags hergestellt sowie Ersatzteile dafür. Im Hinblick auf neue Technologien wie autonomes Fahren investieren derzeit viele in der Branche enorm in die Entwicklung. "Da zahlt auch Autoliv übertariflich", sagt ein Sprecher der IG Metall. Erst kürzlich hat Autoliv ein Joint Venture mit dem schwedischen Autohersteller Volvo zur Entwicklung von Software für autonome Fahrzeuge geschlossen - Entwicklungsstandort ist Unterschleißheim im Landkreis München.

Elektronikbereich wird aufgebaut

Die deutliche Mehrheit der Arbeitsplätze bei Autoliv in Dachau wird erhalten: Mehr als 700 Mitarbeiter - Ingenieure, Informatiker - sind schon jetzt in der Entwicklung tätig. "Im Elektronikbereich wird aufgebaut", sagt der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats Frank Petrus. "Und wir haben die Aussicht auf ein riesengroßes neues Gelände." Gemeinsam mit der Gewerkschaft IG Metall wird er nun anstehende Verhandlungen mit dem Arbeitgeber vorbereiten. "Es geht nicht nur um Geld", sagt Petrus. "Es geht vor allem um Perspektiven."

Die sind nicht für jeden der nun von Arbeitslosigkeit bedrohten 120 Mitarbeiter gut. Darunter seien etliche, die älter als 50 oder 55 Jahre sind, zwar innerbetrieblich qualifiziert sind, aber keine Ausbildung haben, teilweise kein perfektes Deutsch und kein Englisch sprechen. Bei großen Unternehmen sei es aber längst üblich, dass auch am Fließband nur Facharbeiter stehen. Petrus setzt daher neben Altersteilzeiten und Frührenten auf eine Transfergesellschaft, die ermöglicht, sich fort zu bilden oder über Praktika in anderen Firmen eine neue Stelle zu finden. "Eine Transfergesellschaft hilft jedem", sagt Petrus. Mitte Oktober soll es eine Betriebsversammlung geben, dann sollen die Arbeitnehmer genaueres erfahren. Bei der letzten Kündigungswelle vor zwei Jahren wurden von 90 angekündigten am Ende nur sechs ausgesprochen, sagt Petrus. Die anderen konnten über Transfergesellschaft oder Frührente aufgefangen oder nach Weiterqualifizierungen innerhalb der Firma weiterbeschäftigt werden. Letzteres wird diesmal nicht möglich sein. Was nach dem Ende der Autoliv-Produktion aus dem Standort an der Theodor-Heuss-Straße werden soll, kann man bei Autoliv nicht beantworten. Das Unternehmen ist Mieter. Maytec sucht derzeit nach einem Nachfolgenutzer.

© SZ vom 15.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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