Serie: Dachauer Oasen, Teil 8:So wohnt der Künstler Paul Havermann

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Das Haus des Dachauer Künstlers Paul Havermann. (Foto: Niels P. Joergensen)

Der Künstler Paul Havermann hat seinen Garten fein durchkomponiert. Klare Linien und organische Strukturen halten sich die Waage.

Von Christiane Bracht, Dachau

Kunst und Garten. Für Paul Havermann sind das keine Gegensätze, auch keine abgegrenzten Bereiche, die nichts miteinander zu tun haben. Für Havermann ist Kunst und Garten eins. Kommt man in sein Reich, ist man zunächst ein wenig irritiert. Anders als man es vielleicht vermutet hätte, stehen keine Skulpturen oder andere Kunstwerke herum. Und wer glaubt, in ein Paradies zu kommen, in dem die Natur in erster Linie selbst die Gestaltung übernommen hat und der Künstler fasziniert von ihrer Kraft nur ein paar Akzente gesetzt hat, wird ebenfalls verwundert sein. Im Garten von Paul Havermann hat alles seine Ordnung, alles ist fein durchkomponiert und sauber abgegrenzt. In der Mitte eine große Rasenfläche, sauber geschnitten, gut gepflegt, am Rand die Beete, eingefasst von kleinen Buchsbaumhecken, Mäuerchen und Blumentöpfen. Blickfang ist ein großer Apfelbaum. "Den hat mir mein erster Leistungskurs Kunst 1984 geschenkt - zur Geburt meines Sohnes", erklärt Havermann stolz. Früher war er auch Lehrer, jetzt ist der 67-Jährige nur noch Künstler.

Im Frühsommer könne man hier ein Feuerwerk an Farben erleben, wenn Lilien, Lavendel, Rosen, Äpfel und Kirschen blühen, begeistert er sich. Aber selbst jetzt, wo der Herbst schon leise anklopft, sprießen überall noch bunte Blumen. Die Blütenpracht lässt sich also noch erahnen. Schmetterlinge flattern umher, Bienen summen, sogar eine Libelle schwebt über die im Licht glänzenden Blätter. "Ich lade sie ein", sagt Havermann grinsend. Apfel- und Birnbäume tragen große Früchte. Die Ernte wird reich - das sieht man schon jetzt. An der Hauswand recken sich Glyzinien mit ihren großen blauen traubenförmigen Blüten empor, dazwischen reifen die Trauben des wilden Weins. Eine rote Dipladenia streut ein paar rote Akzente hinein, und auch die Rosen haben ihre Knospen bereits zum dritten Mal in diesem Jahr geöffnet. Einen so wunderbar langen Sommer gebe es selten, schwärmt Havermann und erfreut sich an dem schönen Wechselspiel der Farben und Lichteffekte. Im Hintergrund plätschert sanft ein Brunnen. Sein Garten - er ist eine Oase zum Wohlfühlen mit lauschigen kleinen Sitzecken. Für Fremde allerdings gut verborgen hinter hohen Buchenhecken, dem Haus und der Garage.

Sein Wohnhaus inklusive Garten war sein Projekt.

"Ich habe alles selbst geplant", erklärt er. Zwei Jahre hat er sich dafür Zeit gelassen. In Büchern nachgelesen, sich Ideen geholt, die Entwürfe immer wieder angepasst, mit Experten diskutiert. Eigentlich, gesteht er, habe er Architekt werden wollen. Sein Dachauer Wohnhaus inklusive Garten war sein Projekt. Hier konnte er seine Vorstellungen und Wünsche verwirklichen, experimentieren, Harmonie schaffen. Das war vor 35 Jahren. "Wenn man ein Haus baut, nimmt man der Natur was weg", erklärt er seine Idee hinter der Architektur. "Ich wollte der Natur etwas zurückgeben."

Der Vorgarten ist stark von den klaren Linien und Formen des Hauses geprägt, ein kleines grünes Rechteck, eingerahmt von einer niedrigen Buchsbaumhecke, rechts und links zwei kugelförmige Ahornbäume. So wie man es heute öfter sieht. "Es ist der halböffentliche Raum, der Übergang zur Straße. Es sollte einladend wirken und doch Grenzen aufzeigen", erklärt Havermann. Die klaren Linien werden nur von der stattlichen Buche an der Seite und vom munter rankenden Efeu an einer Hausecke unterbrochen. "Wenn man der Architektur einen Mantel überstülpt, gibt es Harmonie, und das ist unser Dasein", erklärt der Dachauer. Ihm ist es wichtig, den Fußabdruck, den er der Welt hinterlassen wird, möglichst klein zu halten. Bäume, Hecken und Blumen, in denen die Insekten leben, ist für ihn ein Schritt dorthin. Doch vor dem Haus soll das Organische nicht die Überhand gewinnen, und so schneidet er den Efeu mehrmals im Jahr mühsam zurecht. Das blühende Paradies dagegen soll hinter dem Haus bleiben, ein Privatraum, den man von der Straße aus nicht erahnen kann, streng abgeschirmt.

In seinen Bildern spiegelt sich seine Begeisterung für Blumen. (Foto: Toni Heigl)

Havermann schiebt den Duschvorhang, den er an der Seite des Hauses angebracht hat, beiseite und lässt den Blick in sein Privatreich zu. Es ist das einzige, was ein bisschen provisorisch wirkt. Auch hier folgt alles architektonischen Grundsätzen, klaren Linien und Strukturen. Die Natur darf wuchern, aber nur in fest umrissenen Bereichen, hinter den kleinen Buchsbaumhecken, damit man die Vergänglichkeit der Pflanzen, die langsam verblühen und absterben, nicht sofort sieht. Auch wenn sich das Bild des Gartens im Laufe der Monate ändert, Altes verwelkt, Neues emporwächst, so muss es doch immer schön bleiben. Denn Schönheit ist Havermann wichtig. Dafür arbeitet er jeden Tag im Garten: schneidet, gräbt, zupft Unkraut und werkelt vor sich hin. Seine Frau hilft ab und zu, doch sie sagt, es ist nicht einfach: "Er ist sehr kritisch." Er schmunzelt.

Kritisch ist Havermann auch mit seinen Kunstwerken. Immer wieder wird nachgearbeitet, überlegt, genau begutachtet, ausgebessert, mit etwas Abstand erneut inspiziert. Die Frage "Ist es fertig?" steht offenbar lange im Raum. "Von 100 Bildern sind nur zehn wirklich gut", sagt der Maler. Die Dachauer jedoch lieben ihn, sind von seinen farbenfrohen Werken sehr begeistert. Havermann hat gute Kunden, auch einige Sammler. Einer hat sogar sein Haus um das Gemälde herum gebaut und die Einrichtung farblich passend gewählt. Der Künstler freut sich über diese Art der Wertschätzung.

In der Natur liegt nicht nur Schönheit, sondern auch Sterblichkeit.

Es ist die Schönheit seiner Bilder, die die Leute anspricht und die seinen Erfolg ausmacht. Havermanns Künstlerkollegen stört genau das. Als Dachauer müsse man sich doch mit der Geschichte auseinandersetzen, nicht mit der Idylle, sagen sie. "Ich muss keinen Stacheldraht malen, um eine künstlerische Aussage zu treffen und keinen Totenkopf, um die Vergänglichkeit zu thematisieren", gibt er zurück. In der Natur liegt schließlich nicht nur Schönheit, sondern auch die Sterblichkeit. Havermann weist auf seinen Zyklus einer verblühenden Amaryllis hin, den er im vergangenen Jahr gemalt hat. Er hatte die Pflanze zu seinem Geburtstag geschenkt bekommen.

"Es ist die Strategie der Verführung", erklärt der Künstler. "Der Pfarrer, der nur schimpft und schlechtredet, hat bald kein Publikum mehr." Doch verstehen die Freunde seiner Kunst seine subtile Art der Kritik? Schafft er es, sie zum Nachdenken zu bringen? Havermann ist sich dessen sicher.

Etwa 65 Prozent seiner fast 5000 Bilder nehmen ihren Anfang im Garten. "Er ist mein Leben, meine Inspiration", sagt der Künstler. Er betrachtet ihn aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln und sieht so immer wieder was Neues: Morgens sitzt Havermann am liebsten unter dem Spalierobst etwas erhöht und schaut auf sein gärtnerisches Werk herab. Abends bevorzugt er eine kleine Nische, wo die Abendsonne noch lange hinein scheint, bevor die Dunkelheit hereinbricht. Dort wirken die Linien der Hecke wieder anders. Und wenn es regnet oder die kühleren Tage kommen, zieht der Gartenfreund sich in sein Glashaus zurück. Darin wachsen vor allem die Mitbringsel aus seiner Zeit in Italien: ein Feigenbaum, ein silbrigschimmernder Olivenbaum und noch einige andere mediterrane Schätze. Das Spannungsfeld zwischen geraden Linien und organischen Formen, zwischen Struktur und den darüber hinauswachsenden Pflanzen gibt Havermanns Garten etwas Besonderes, etwas sehr Harmonisches. Man sitzt einfach gern hier. Am meisten aber fasziniert den Künstler die Farbvielfalt.

Doch es stehen Veränderungen an: Der Hobbygärtner kämpft noch dagegen an, sucht verzweifelt nach Tipps und Anregungen, diskutiert und probiert aus, um zu retten, was noch zu retten ist. Der asiatische Buchsbaumzünsler, ein Schmetterling, dessen Raupen sich überall durch das Immergrün der kleinen Hecken frisst, hat sich eingenistet. Doch der Künstler in ihm fühlt sich dadurch eher inspiriert. Er denkt schon weiter, überlegt sich neue Strukturen und Konzepte für den Garten. Während die Spuren der Vergänglichkeit bereits deutlich zu sehen sind.

© SZ vom 04.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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