Serie: Dachauer Oasen, Teil 5:Dachaus kleine Riviera

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Vor drei Jahren wurde der Flusslauf der Würm zwischen Schleißheimer- und Pater-Roth-Straße neu gestaltet. Darüber freut sich nicht nur die Natur: Flache Uferstellen und Kiesbänke laden zum Barfußlaufen und Staudammbau ein, zum Ausruhen gibt es Sitzsteine und Bänke

Von Petra Schafflik, Dachau

Fast bis zu den Knien stehen die beiden Buben im flachen Wasser der Würm. Dort holen sie Stein für Stein vom Ufer oder aus dem Flussbett, schichten die Kiesel akribisch auf, ein kleiner Staudamm entsteht. Hin und wieder halten die Kinder inne, beobachten die Wirkung ihres Bauwerks auf das fließende Wasser, legen Steine nach, nehmen andere weg. Daneben sitzt der Vater auf einer Bank im Schatten, ein Buch in der Hand, hin und wieder wandert ein Blick auf die spielenden Kleinen.

Es braucht gar nicht viel für eine kurze entspannte Auszeit im Alltag. Das zeigt das gelungene Projekt "Würmverführung", bei dem vor drei Jahren der Flusslauf der Würm zwischen Schleißheimer- und Pater-Roth-Straße neu gestaltet worden ist. Nun finden sich dort mitten in der Stadt zugängliche, flache Uferstellen, Kiesbänke zum Barfußlaufen, Sitzsteine, Ruhebänke und Holzliegen, die alle Generationen zum Verweilen einladen.

Glasklar strömt das Wasser daher, träge meist, leise plätschernd oder fast reißend dort, wo kleine Holzverbauungen, Landzungen oder eine mitten im Fluss aufgeschichtete Kiesinsel das Flussbett verschmälern. Damit an den offenen Uferzonen nicht nur Gras wächst, wurde autochthones regionales Saatgut ausgebracht, erklärt Stadtgärtner Stefan Tischer. So siedelte sich eine Vielfalt heimischer Pflanzen an, die sich im mal trockenen, mal nassen Randbereich des Flusses wohlfühlen. Nun blühen dort Wasserschwertlilie, Kohldistel und leuchtend violetter Blutweiderich, direkt an der Uferkante hat sich die Wasserminze angesiedelt. Auf einem Hügel ein wenig abseits sprießen Schafgarbe, Klee und Wiesenflockenblume. Die bunten Blüten, keine botanischen Raritäten, dennoch inzwischen rar mitten in der Stadt, sind gleichzeitig Augenweide für Passanten und wichtige Nahrungsquelle für Insekten.

Wer genau hinschaut, beobachtet denn auch am Ufersaum immer wieder zielstrebig flatternde Schmetterlinge und zarte Libellen. So hat die Gebänderte Prachtlibelle, die mit ihrem strahlenden Blau ins Auge sticht, hier nun einen Lebensraum gefunden, erklärt Tischer. Und auch im Wasser gibt es Nutznießer der "Würmverführung". Fische wie die Barbe, die in der Würm heimisch sind, profitieren von der vielfältigeren Struktur des Gewässers, vom Wechsel zwischen flachen Zonen, tiefen ruhigen Stellen und lebendigeren Strömungen. Anders als bei Gräsern gab es bei den Gehölzen nur wenige, gezielte Neupflanzungen. Ziel der Umgestaltung war die Öffnung des Ufersaums, so dass vor allem dichte Sträucher gerodet wurden. An Stellen, wo das Ufer durch die Wasserströmung abgetragen zu werden droht, stehen nun Grauerlen, die mit ihren tief ins Wasser ragenden Wurzeln als natürliche Uferbefestigung dienen.

Gerade im Unspektakulären liegt der besondere Charme dieses Konzepts, "das Natur und Menschen verbinden soll", wie Stefan Tischer erklärt. Es gibt keine besonderen Schutzzonen für Flora und Fauna. Auch völlige Stille findet sich an dem Fluss unweit viel befahrener Durchgangsstraßen nicht oft. Dafür wurde der zuvor hinter blickdichten Sträuchern fast unsichtbare Wasserlauf herausgeholt aus seinem stangengeraden Bett, um ihn als Teil des Stadtviertels nun zugänglich und erlebbar zu gestaltet.

Die Idee für dieses Projekt haben Bürger selbst entwickelt. In der integrativen Stadtentwicklung und dort speziell am Thementisch Umwelt, Natur und Energie, erarbeiteten engagierte Dachauer schon 2006 Vorschläge für eine Aufwertung des Wasserlaufs, der die Stadt durchströmt, aber anders als die Amper in weiten Teilen unbeachtet dahinfließt. Im Projekt Soziale Stadt Dachau-Ost haben dann Bewohner des direkt angrenzenden Stadtteils ergänzende Vorschläge gemacht.

Bei der Umsetzung gab es dann noch eine Überraschung: Was als bürgernahes Naturkonzept geplant war, kommt quasi nebenbei auch stark der Umwelt zugute, weil Ziele der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie für "gute Gewässer" mit umgesetzt wurden.

Doch die Natur profitiert noch auf andere Weise. Denn Menschen, die Pflanzen und Tiere direkt erleben können, wissen Natur und Umwelt besser zu schätzen, ist Stadtgärtner Tischer überzeugt. Und wo offizielle Spielplätze aufgrund strikter Sicherheitsnormen den Kindern nur wenige Optionen bieten für eigene Ideen und kreatives Spiel, zum Ausprobieren und Verändern, sind erlebbare Naturräume wie an der Würm umso wichtiger. "Es tut den Kindern gut, wenn sie selbst etwas schaffen dürfen und eigenständig werkeln können", so Tischer. Mal barfuß ins Wasser, ein Papierschiff schwimmen lassen, Steine reinwerfen, im Gummiboot ein paar Meter treiben oder im Wasserlauf Kiesel umschichten - alles machbar, alles erlaubt. Freilich wurden Insel, Kieszungen und Flussbett nach einem Plan angelegt. Doch Tischer sieht keinen Anlass, gleich aktiv zu werden, sobald ein paar Steine verrückt werden. Solche Veränderungen werden nur beobachtet. "Da werden wir allenfalls mal eingreifen, wenn das Wasser nicht mehr gut fließt." Ganz ohne Pflege geht es natürlich nicht. Alle zwei Jahre werden die Kiesinseln aufgeschüttet, die wuchernde Vegetation durch Rückschnitt im Zaum gehalten, damit Uferzonen weiter frei und zugänglich bleiben. Die Bürger des Stadtteils haben die "Würmverführung" rasch für sich entdeckt. "Wir bekommen nur positive Rückmeldungen", sagt Tischer. Dachauer aller Generationen wissen es offenbar zu schätzen, dieses kleine Stückchen Natur zum Anfassen.

© SZ vom 31.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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