"Es steht ein Soldat am Wolgastrand, hält Wache für sein Vaterland" - das Wolgalied. Früher waren Wunschkonzerte des Bayerischen Rundfunks ohne dieses Operetten-Lied von Franz Lehár kaum denkbar. Heute kennt man es kaum noch, was vielleicht auch mit dem Sujet zusammenhängt. Soldaten an der Wolga wecken unweigerlich unerfreuliche Assoziationen aus der deutschen Geschichte. Wofür Franz Lehár freilich nichts kann. Man muss bis nach Haimhausen fahren, um es in einem Konzert erleben zu dürfen, aber diese Fahrt rentiert sich. Haimhausen, an der Amper gelegen, hat anscheinend ein besonders gutes Verhältnis zu fließenden Gewässern, was bereits im Festkonzert des vergangenen Sommers im Schlosshof zu beobachten war. Jetzt aber konkret und detailliert: In der total ausgeräumten Pfarrkirche Sankt Nikolaus in Haimhausen findet als Benefizkonzert zu Ehren von Pfarrer Seidl, der seinen 85. Geburtstag feiert, und zugunsten der Renovierung der Pfarrkirche eine "Serenade zu Lichtmess" statt. Veranstalter ist der Förderverein Pfarrkirche Haimhausen, die Mitwirkenden sind die in Haimhausen ansässige finnische Sängerin Marja-Leena Varpio aus Helsinki, der Bariton Martin Danes aus Landshut, der Pianist Martin Wolfrum, ebenfalls aus Landshut, und der von Marja-Leena Varpio geleitete Haimhausener Chor Stimmbruch. Das Programm ist eine bunte Mischung von Chören, Arien und Duetten vorwiegend aus Messen und Oratorien von Joseph Haydn und Felix Mendelssohn bis Gioachino Rossini und Camille Saint-Saëns.
Das läuft zügig und in ansprechender Darbietung ab. Der Chor beginnt mit einem "Gloria in excelsis" eines Komponisten, der auch die Harmonien und Rhythmen gefälliger Unterhaltungsmusik beherrscht. Marja-Leena Varpio dirigiert, Martin Wolfrum begleitet am Klavier - alles wie üblich. Doch da dreht sich die Dirigentin um und singt in schönstem Sopran eine Überstimme, die das ganze Gloria adelt. Das gibt es nur in Haimhausen. Im übrigen hat der Chor Stücke aus dem "Paulus" von Mendelssohn zu singen, und das ist keine besonders dankbare Aufgabe. Da machen die Duette und Sologesänge schon mehr her. Am meisten beeindrucken das Duett "Holde Gattin, dir zur Seite" aus der "Schöpfung" von Haydn, ein Benedictus aus dem Weihnachtsoratorium von Saint-Saëns und "Mariä Wiegenlied" von Max Reger, das zwischen Rossinis "Petite Messe solenelle" und dem genannten Benedictus, von Marja-Leena Varpio sehr schön gesungen, aufleuchtet. Das berühmte Duett "Là ci darem la mano", besser bekannt in der (verfälschenden) Übersetzung "Reich mir die Hand, mein Leben", aus der Oper "Don Giovanni" von Mozart ist zwischen einem Weihnachtslied von Adolphe Adam und einem gefälligen "Dona nobis pacem", von Marja-Leena Varpio und Martin Danes mozartwürdig gut gesungen, die Opernperle dieser "Serenade zu Lichtmess". Aber was ist das alles im Vergleich zu dem, was man nun erleben darf!
Bis jetzt hat Martin Wolfrum alle Chöre, Arien und Duette hervorragend gut am Klavier begleitet, doch jetzt hört man plötzlich statt Klavier Klänge vom Schifferklavier. Martin Danes schreitet, von hinten kommend und zugleich das auch als "Ziehharmonika" bekannte Instrument spielend, langsam nach vorne und singt: "Es steht ein Soldat am Wolgastrand" - schon jetzt ergreifend. Doch der Höhepunkt der Ergriffenheit wird erreicht, wenn er als einsamer Soldat am Wolgastrand singt: "Hast du dort oben vergessen auf mich . . ." und "Du hast im Himmel viel Englein bei dir, schick doch eines, nur eines zu mir." Dazu der die Herzen bewegende Klang des Schifferklaviers! Beifallssturm! Der "Chor Stimmbruch" singt, von der Einsamkeit des Wolga-Soldaten und unmittelbar darauf: "Ehre und Preis sei Gott, dem Herren, in der Höhe".