Schwabhausen:Innerlich zerrissen

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Eine sympathetische Diagnose des Schriftstellers Ludwig Thoma von Michael Lerchenberg

Von Petra Neumaier, Schwabhausen

Der Michael Lerchenberg kam grad recht. Zum erst kürzlich in Dachau gefeierten, 150. Geburtstag des hier einst wirkenden Schriftstellers und Satirikers Ludwig Thoma - und zu der zwiespältigen Diskussion über jenen, der wegen seiner antisemitischen und hetzerischen Schriften, die er in den letzten Jahren seines Daseins verfasste, in Ungnade gefallen ist. Warum, wieso und weshalb der Thoma ein gar so "schwieriger Bayer" war, diesen Fragen ging der Schauspieler, Regisseur, Drehbuchautor und Intendant nach: Brillant in Ausdruck, Darstellung und Auswahl in seinem aktuellen Programm, das er am Samstag in Schwabhausen vorstellte.

Die Autobiografie des SZ-Journalisten Martin A. Klaus verdeutlichte schon die Ambivalenz, die es gegenüber dem Schriftsteller einzunehmen gilt. Historiker Willhelm Liebhart hat am vergangenen Wochenende eine Lesung mit Thoma-Texten inszeniert, die den Schriftsteller in seinen Monarchieträumen und aggressiven Ausfälle darstellte. Bei aller Sympathie für einige literarische Werke.

Diese Sympathie hegt auch der Schauspieler zu Ludwig Thoma. Michael Lerchenberg versucht jedenfalls in seinem unterhaltsamen Programm anhand von Biografien, Werken und Schriftwechseln dem als "größten Literaten Bayerns" Bezeichneten ein mildes Gesicht zu geben. Eines, das um Verständnis wirbt, das fast Mitleid erweckt für einen Mann, der trotz der einen oder anderen Fehlleitung unbestritten ein herausragender Schriftsteller und mutiger Satiriker war. Und der sein Leben lang letztendlich nach Halt und Liebe suchte.

Die Basis dafür war wohl früh gelegt: Mit vier Jahren verliert Ludwig Thoma seinen Vater. Von der stets jammernden Mutter, wird der Bub von Verwandten zu Verwandten zur "Pflege und Aufzucht" weitergereicht. Zu seiner Mutter hat er daher nur wenig und überwiegend schriftlichen Kontakt - und, wie ein Brief belegt, nicht den allerbesten. "In den "Lausbuben-Geschichten" zeichnete er später deshalb das Idealbild einer Mutter - und nahm seine eigene als Vorlage für die unsägliche Tante Frieda", fand Lerchenberg heraus.

Die Suche nach Mutterliebe ist für ihn zudem Auslöser für das Verhältnis Thomas zu Frauen. Klein von Wuchs und vom finanziellen Budget und mit Minderwertigkeitskomplexen behaftet, bandelt der junge Anwalt und spätere Schriftsteller gerne mit reichen Mädchen an - vorrangig aber mit verheirateten Frauen. Zeugnisse des lotterhaften Lebenswandels hat Lerchenberg viele zu bieten. Auszüge aus Briefen und Telegrafien und nicht zuletzt aus der Satirezeitschrift Simplicissimus, deren Chefredakteur Ludwig Thoma viele Jahre lang war. Hier propagiert er in Artikeln die "Freie Liebe".

Weder gegenüber Frauenrechtlerinnen, noch gegenüber Politikern nimmt der Literat ein Blatt vor dem Mund. In einigen seiner Schriften, wie dem verlesenen Spottgedicht auf das Bayerische Parlament, entdeckt das Publikum sogar nach über 100 Jahren eine noch erstaunliche Aktualität. Voller Bewunderung ist Michael Lerchenberg auch hier, wie außergewöhnlich Ludwig Thoma in seinen Schriften sämtliche Sprach- und Stilmittel beherrscht. Nicht nur auf bayerisch, sondern auch in Berliner Mundart, was der vielseitige Schauspieler perfekt wiedergeben kann.

Immer ungehemmter steigert Ludwig Thoma in der Zeit des Simplicissimus seine Auflehnung gegen der politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen (Un-)Ordnung. Die Widersprüchlichkeit seines Schaffens beginnt jedoch erst mit dem ersten Weltkrieg. Erst kurz zuvor hatte er sich für ein friedliches Miteinander "ausgeschrieben", mit Ausbruch der Kämpfe mutiert er zum glühenden Patrioten, der sich sogar freiwillig zum Dienst meldet. An die Waffe kommt er zwar nicht, dafür erlebt er die Wirkung solcher vor Ort als Sanitätshelfer.

1920 beginnt Ludwig Thoma wieder politisch unter Pseudonym zu schreiben. Und zu polarisieren: Traumatisiert vom Ersten Weltkrieg und der Niederlage, deprimiert vom Zusammensturz der Monarchie und frustriert von der unerfüllten Liebe zu einer Jüdin. "Alles was ich so liebte, ist im Untergang", schreibt er ihr. Kaum zwiespältiger können die Schriften der letzten Lebensjahre sein: in Briefen bringt er seiner Geliebten sein Unverständnis gegenüber antisemitischen Haltungen zum Ausdruck. In Kolumnen befeuert er sie. Deshalb diagnostiziert Lerchenberg eine innere Zerrissenheit. Thoma stirbt mit nur 54 Jahren an Krebs.

Der frühere Redaktionsleiter der SZ Dachau, Martin A. Klaus, liest am Freitag, 24. Februar, 20 Uhr im Café Gramsci aus seiner Ende vergangenen Jahres im dtv-Verlag erschienen Thoma-Biografie "Ein erdichtetes Leben".

© SZ vom 14.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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