Schubert mit Jazz:Emotionale Intensität

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Nicht zum ersten Mal zu Gast bei Kult A8: Hugo Siegmeth. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Auf Franz Schuberts "Winterreise" mit Laute und Jazz-Saxofon

Von Renate Zauscher, Odelzhausen

Musik hat zu allen Zeiten bereits Vorhandenes aufgenommen, hat es umgeformt und umgedeutet und daraus Neues entstehen lassen. Genau das haben jetzt auch der Saxofonist Hugo Siegmeth und Lautist Axel Wolf gemacht: Sie haben sich Franz Schuberts "Winterreise" mit den Mitteln des Jazz genähert und dabei etwas ganz Neues, Eigenständiges geschaffen. Am vergangenen Samstag waren sie bei Kult A 8 in Odelzhausen zu Gast und haben ihre persönliche Auffassung dessen, was den Kern der "Winterreise" ausmacht, einem (leider nur sehr kleinen) Publikum in der "Malztenne" vorgestellt.

Für Hugo Siegmeth ist es der allererste Satz der 24 von Franz Schubert vertonten Gedichte, der wie in einer Nussschale die Aussage der "Winterreise" in Worte fasst: "Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus", heißt es da gleich zu Beginn der Gedichte, die Wilhelm Müller geschrieben hat - ein laut Siegmeth keineswegs nur "mittelmäßiger" Dichter, für den man ihn lange gehalten hat.

Das Fremdsein, die Einsamkeit des Menschen, ist die Empfindung, die für Hugo Siegmeth wie für Axel Wolf im Mittelpunkt von Schuberts wichtigstem Liederzyklus steht und die den Kern des Menschseins, der Conditio humana schlechthin, ausmacht. Wilhelm Müller beschreibt in seinen Gedichten die Gefühle eines jungen Mannes, der "fremd" eine Stadt verlässt, in der er eine große Liebe hinterlässt. Er wandert durch die winterliche Natur, in der er überall Metaphern für sein eigenes Unglück sieht. Der vereiste Fluss, die Düsternis der Nacht, die Krähen, die ihn begleiten oder die Hunde, die er von Ferne bellen hört - sie alle beschreiben die eigenen Empfindungen, die schwanken zwischen Verzweiflung und Erinnern an gute Zeiten, zwischen Zorn auf die, die da in ihren Betten liegen und schlafen, zwischen Todessehnsucht und dem Entschluss weiterzugehen, weiterzumachen in diesem Leben.

Er müsse das "Publikum warnen" hatte Hugo Siegmeth zu Beginn des Abends gesagt: Die Tiefe, die Intensität des dichterischen wie des musikalischen Werks seien tief anrührend; selbst Schuberts Zuhörer hätten bei der ersten Vorstellung im Freundeskreis "verstört" reagiert.

Siegmeth und Wolf finden für die Gefühle des Wanderers durch die Winternacht bewegende musikalische Bilder. Axel Wolf bleibt dabei näher an Schuberts Original: Er kommt von der klassischen Musik her, während Hugo Siegmeth seine Wurzeln im Jazz hat und deshalb immer schon mit Motiven gespielt, sie improvisierend in ihrer Vielschichtigkeit und Wandelbarkeit ausgelotet hat. Das tut er auch hier: Er geht auf die jeweils unterschiedlichen Stimmungen der Texte ein, kann aufkeimende Hoffnung des wandernden Menschen mit zarten Tönen ausdrücken, um ihn im nächsten Moment wieder in tiefe Verzweiflung stürzen lassen, kann das Aufbegehren des Menschen gegen sein Schicksal in heftigen Ausbrüchen hörbar machen oder auch den verführerischen Wunsch, alles hinter sich zu lassen. Wolfs Lautenspiel ist zurückhaltender, leiser als Siegmeths Saxofonklänge, aber nicht weniger intensiv.

Von Anfang an wollten die beiden Musiker die Texte stärker als das in gesungener Form möglich wäre für sich wirken lassen. Die Rolle des Sprechers übernahm der Schauspieler Stefan Hunstein. Er kann die wechselnden Gefühlszustände des nächtlichen Wanderers mit großer Leidenschaft nachempfindbar machen, kann wilde Verzweiflung ebenso artikulieren wie den leisen Nachhall der Gedanken im Ungewissen, Unausgesprochenen, kann sogar herzzerreißend bellen und heulen wie einer jener Dorfhunde am Weg des Wanderers. Dabei bleibt immer auch der direkte Bezug zur Musik erhalten: Mal bricht der Text unversehens heftig in das musikalische Geschehen ein, mal verklingt er murmelnd in den Klängen von Saxofon oder Laute.

Seit nunmehr zweihundert Jahren gibt es unterschiedliche Deutungsversuche, was Müller wie Schubert in der "Winterreise" mitteilen wollten. Einer davon bezieht sich auf die politische Aussage des Werks: Der Dichter wie der Musiker lebte in Zeiten der konservativen Restauration unter Metternich, und beide kamen mit politischer, auch künstlerischer Zensur in Berührung. Beide dürften deshalb auch das Gefühl der Entfremdung, des Unfreiseins, gekannt haben, ehe beide jung starben. Gut vorstellbar, dass die Metaphern der "vereisten", kalten Natur auch als Aussage zu den gesellschaftlichen wie politischen Zuständen im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts zu verstehen sind.

© SZ vom 19.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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