Schranne:Slam wird zum Selbstläufer

Lesezeit: 2 min

Der monatliche Dichterwettstreit zieht so viele Leute an, dass einige bereits an der Tür abgewiesen werden mussten.

Anna Schultes

"Nein, du kannst nicht gehen. Du bist doch mein", schreit die junge Poetin lauthals durch den Raum. Aber Moment, gerade war doch noch alles in bester Ordnung. Von den schönsten Erinnerungen an den Geliebten hatte sie gesprochen. Von seinem Frühlingsmorgenlachen. Und wie er riecht und aufblüht, wenn er Rennrad fahren kann. "Du bist das Besteste, was mir je passiert ist", stimmte sie an, weil der Superlativ einfach nicht gereicht hatte.

Und dann - Schnitt - ist der Verflossene nur noch wie der Regenguss, der den ganzen Sommer anhält, oder der Wirbelsturm im Herbst. Voller Emotion und mit viel Charme trägt Clara Nielsen ihr "Jahreszeitengedicht" beim dritten Dachauer Schrannen-Slam vor. Das Klatschen und Trommeln des Publikums befördert die 23-Jährige in der ersten Runde ins Finale.

Die Dachauer zeigten sich von Beginn an neugierig, was den Poetry Slam in der Kulturschranne betrifft. Schon in den vergangenen beiden Monaten war es voll gewesen, nun hat sich das Ereignis wohl noch weiter herumgesprochen. Am vergangenen Donnerstag kamen so viele, dass Besucher wieder nach Hause geschickt werden musste. Mit 120 Gästen waren die bestehenden Kapazitäten erschöpft. Tobias Schneider, Leiter des städtischen Kulturamts, freut sich, dass vermehrt junge Leute den Weg in die Schranne finden. "Einige von ihnen sind jetzt schon Stammgäste beim Poetry Slam, auch ein paar junge Musiker aus Dachau sind dabei." Der Kulturamtsleiter legt viel Wert darauf, auch ein junges Publikum für die Schranne zu begeistern.

Ko Bylanzky, einer der Moderatoren des Schrannen-Slams, hat bereits einen Workshop mit zwei elften Klassen des Josef-Effner-Gymnasiums vorgenommen. So kommen die Schüler mit dem modernen Dichterwettstreit in Berührung, setzen sich mit literarischen Texten auseinander und entdecken vielleicht ein schlummerndes Talent oder einfach nur die Freude an der Sache. Das Ziel ist klar. "Im Laufe der Zeit soll der Großteil der Poeten aus Dachau kommen", sagt Bylanzky. Interessierte Deutschlehrer können sich an das Kulturamt wenden, die Schüler sollten mindestens 16 Jahre als sein.

"Ich bin das Kontrastprogramm", sagt Fritz Sandmann. Der Dachauer mit grauem Haar und Bart präsentiert auf der Bühne sein Gedicht "Umarme mich". Der Münchner Bernhard Stemmermann berichtet von einem kuriosen Spaziergang mit dem Es und dem Über-Ich. Freud erfreut das Publikum. Tobias Schneider findet es toll, dass neben den neun erfahrenen auch zwei Poeten spontan vorbeigekommen sind. Einige Gäste erleben ihren ersten Poetry Slam und hören gespannt zu, wenn rund um italienische Fischgerichte, rote Pausbäckchen, trübe Tiefseetauchertränen und einen See aus Kugelschreibertinte gedichtet wird. Aus der zweiten Runde geht der Luxemburger Luc Spada als Sieger hervor, der mittlerweile in München lebt. Mit einem scharfen Blick auf seine Generation, einem "Postkatastrophenunternehmen", zieht er wie im Dezember ins Finale ein.

Clara Nielsen und Luc Spada tragen ihre Texte vor, von Gewohnheitstieren, die gestreichelt werden wollen, und einem Lauf mit Tränen und Schweißperlen. Die 23-jährige Kielerin, die zurzeit in Bamberg lebt, legt noch eine kurze Plattdeutsch-Sequenz ein. Seit drei Jahren steht sie auf der Bühne, und die Reaktionen des Dachauer Publikums sind eindeutig. Fast vergisst der "weltbeste Moderator", wie Spada ihn nennt, der Siegerin den Gutschein der Buchhandlung Wittmann zu überreichen. Ko Bylanzky muss an diesem Abend an alles alleine denken, sein Kollege Rayl Patzak steht wegen einer Erkältung nur hinter dem DJ-Pult. Bis zum nächsten Schrannen-Slam im Februar ist er aber wieder fit.

© SZ vom 15.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: