Rotes Kreuz:Der Modernisierer

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Im Dialog mit den 1800 Ehrenamtlichen will Geschäftsführer Paul Polyfka das Rote Kreuz im Landkreis für die Zukunft fit machen.

Von Christiane Bracht, Dachau

Das Bayerische Rote Kreuz (BRK) soll expandieren. So jedenfalls stellt sich Paul Polyfka die Zukunft des Kreisverbands Dachau vor. "Noch sind wir stark mit dem Hier und Jetzt beschäftigt, aber die Themen verändern sich", hat der Kreisgeschäftsführer festgestellt. "Und wir müssen attraktiv bleiben." Zehn Kindertagesstätten betreibt das Rote Kreuz im Landkreis, doch Polykfa wünscht sich mehr. Auch die kleinen gewerblichen Angebote wie etwa der Hausmeisterservice für Senioren oder der betreute Fahrdienst, der Alte, Kranke und Behinderte zum Arzt bringt oder auch mal ins Theater, damit sie am Leben teilhaben können, sollen weiter ausgebaut werden.

"Es reicht nicht, nur das Tagesgeschäft zu planen", weiß Polyfka. Der Verband muss fit werden für die Zukunft. Und so hat sich der 40-Jährige auch schon einige Gedanken gemacht zum Thema Altersarmut zum Beispiel. "Aber da kann ich noch nicht sagen, welches Angebot das richtige ist", bekennt er. Einen Mittagstisch gibt es bereits, doch nur wenige kommen dorthin, sagt der Kreisgeschäftsführer. Die Scham, von anderen erkannt zu werden, ist offenbar zu groß. Da verkriechen sich die Rentner lieber in den eigenen vier Wänden, auch wenn sie nichts zu beißen haben. "Wie geht man damit um?", fragt sich der Kreisgeschäftsführer. In drei Jahren will er einer Lösung zumindest näher sein. 2020, das ist für ihn das zentrale Datum - das Ziel seiner Weiterentwicklungspläne. "Ich will etwas bewegen", sagt er.

Zwei Jahre leitet Polyfka den Kreisverband bereits, er kennt die Abläufe inzwischen recht gut, die Vorzüge und Schwachstellen. Nicht alles lief reibungslos bislang, gleich zu Beginn wurde er in einen Machtkampf mit dem Personalrat verwickelt. Man traf sich sogar schon vor Gericht, aber darüber redet Polyfka nicht gern. "Neue lösen Veränderungsprozesse aus, mit denen andere nicht einverstanden sind", sagt er nur. Teile des Personalrats seien aber "sehr konstruktiv". Man begegne sich mit "Wertschätzung". Viel lieber redet der BRK-Chef über seine Visionen und natürlich das, was er schon auf den Weg gebracht hat.

Der Geschäftsführer des Roten Kreuzes im Landkreis Dachau will Menschen in Not helfen, egal welcher Hautfarbe, Religion oder Nationalität sie sind. (Foto: Niels Jørgensen)

Rotkreuzler seit frühester Jugend

Polyfka ist tief verwurzelt im Roten Kreuz. Seit frühester Jugend ist er als Ehrenamtlicher im Sozialverband aktiv. Er kennt die Strukturen sehr genau, weiß, wie man im Verband denkt und fühlt. Und was für seine Arbeit von unschätzbarem Wert ist, er wird von den Aktiven als einer von ihnen wahrgenommen. Ihm kann man nicht den Stempel aufdrücken, dass er von außen kommt und keine Ahnung hat. Auch die Ressentiments gegen Hauptamtliche im Allgemeinen und die Unterteilung der Welt in "Gut und Böse", die manch ein Ehrenamtlicher macht, passen im Fall von Polyfka nicht. Der Sozialbetriebswirt versteht sich vor allem als "oberster Dienstleister des Ehrenamts" und erst in zweiter Linie als Manager und Chef. "Das Rote Kreuz ist eine Bürgerbewegung", erklärt er. Und die 270 Mitarbeiter im Kreisverband seien vor allem dazu da, den Ehrenamtlichen die Arbeit zu erleichtern. "Diese wollen sich einbringen im gesellschaftlichen und sozialen Leben oder gebraucht werden, um Verletzten zu helfen. Aber sie wollen keinesfalls nur Administratives erledigen", weiß Polyfka. Deshalb hat er einen Sachbearbeiter eingestellt, der zum Beispiel die Mitgliederdaten pflegt. Auf diese Weise haben die Ehrenamtlichen den Rücken frei und für den Kreisverband gehen keine wertvollen Infos mehr verloren.

Wenn man Polyfka fragt, warum er sich ausgerechnet für das BRK als Arbeitgeber entschieden hat, obwohl jeder weiß, dass der Sozialverband mit seiner teils ehrenamtlichen, teils hauptamtlichen Struktur nicht leicht zu führen ist, erklärt er: "Weil ich hier echte Hilfe leiste, jeden Tag." Und das Gefühl, dass seine Arbeit sinnvoll ist, verbindet ihn mit den 1800 Ehrenamtlichen im Landkreis. "Wir haben einen gemeinsamen Auftrag", sagt der Kreisgeschäftsführer. Deshalb gebe es auch keine üblen Zerwürfnisse unter Rotkreuzlern, auch wenn man unterschiedlicher Meinung ist. "Die Basis stimmt einfach."

Aber es gibt noch einen anderen Grund, warum Polyfka gerade dem BRK so zugetan ist. 1988 ist er aus Oberschlesien (Polen) nach Deutschland übergesiedelt. Als die Familie in Passau ankam, muss es wohl ähnlich turbulent zugegangen sein, wie 2015 als der Flüchtlingsstrom die Grenze überschritt. Angesichts dessen habe er auch sehr viel Verständnis für die Leute, die hierher kommen, sagt Polyfka. Er war damals elf Jahre alt und er erinnert sich noch heute daran, wie ihn die Leute "merkwürdig angeschaut" haben. Er konnte seinerzeit kein Deutsch, aber die Leute vom BRK seien ihm immer positiv aufgefallen. "Sie haben den Neuankömmlingen am intensivsten die Hand gereicht, sie unterstützt, wo es nur ging", sagt er. Das prägt.

Der Kapitän geht von Bord

Einige Zeit später in einem Übergangswohnheim in Augsburg, einem ehemaligen Seniorenheim, das kurz vor dem Abriss stand, fand er ein Plakat, das Jugendliche zum Mitmachen einlud. Es war vom Roten Kreuz. "So ein total antiquiertes mit einer Weltkugel darauf und Kindern aus allen Nationen drumherum, die sich die Hand reichen", erinnert sich Polyfka. "Ich war neugierig. In der Jugendgruppe war immer was los, und es war toll, mit Gleichaltrigen ins Zeltlager zu fahren." Er machte einen Erste-Hilfe-Kurs und bei Katastrophenschutzübungen mit. "In der Freizeit für andere da zu sein", das faszinierte Polyfka. Das kannte er aus Polen nicht, und es prägte ihn.

Er übernahm Verantwortung, wuchs langsam ins Ehrenamt hinein, wurde Leiter der Jugendarbeit im Bezirksverband, später stellvertretender Vorsitzender im Kreisverband München, bis er schließlich 2013 die Leitung übernahm. Am 21. März will er seinen ehrenamtlichen Posten dort räumen. "Ich hätte gerne noch acht Jahre weitergemacht", gibt er zu. Aber er habe gemerkt, dass es "Irritationen" unter den Mitgliedern gab - manch einer habe sich beschwert, dass man nicht wisse, in welcher Funktion er auftrete -, und so habe er sich zu diesem Schritt entschlossen, wenn auch schweren Herzens. "14 Jahre lang waren die Vorstandssitzungen eine Pflichtveranstaltung, bei der man sich nicht einbringen konnte. Jetzt ist das anders: Es ist eine Top-Mannschaft, aber der Captain geht nun von Bord", sagt er traurig. "Das tut schon weh." Dass nun alle gemeinsam an einem Strang ziehen, sei sein Verdienst, sagt Polyfka stolz und strahlt über das ganze Gesicht. Aber es gibt auch Dinge, die er in seiner Amtsperiode "nicht geschafft hat": Zum Beispiel "dass die Entscheidungen des Vorstands auch bei den Mitgliedern ankommen", sagt er und schaut etwas bedrückt und ratlos auf den Boden. Denn dafür hat er in den vergangenen vier Jahren noch kein Patentrezept gefunden, obwohl er "intensiv daran gearbeitet hat".

Polyfka will sich jetzt voll und ganz auf Dachau konzentrieren - "statt 55 Stunden in der Woche sollen es künftig 70 Stunden sein." Aber das heißt nicht, dass er nur noch in seinem Kämmerlein sitzt und von dort aus den Wachstumskurs steuert. Der Kontakt zu den Ehrenamtlichen, zur Basis ist ihm wichtig. Schon früher ist er mal eine Schicht beim Rettungsdienst mitgefahren, um zu sehen, wie es den Mitarbeitern geht. "Dort sieht man nicht nur die Arbeitsabläufe und kann über Verbesserungen nachdenken, sondern man hat auch mal Zeit, Projekte in Ruhe zu besprechen", sagt er. Für die Wache in Gröbenried hat sich sein Besuch übrigens gelohnt. Die Retter dort haben künftig nur noch einen Acht-Stunden-Dienst statt zwölf Stunden. Polyfka hat bei seiner Begleitung nämlich gemerkt, dass die Belastung für die Mitarbeiter zu hoch war. Auch bei der Wiesn will Polyfka an vorderster Front dabei sein. Klar wird er nicht die Betrunkenen oder Verletzten aus dem Zelt tragen, aber er hat sich vorgenommen am Infopoint zu stehen, um zu sehen, wie die Kommunikationszentrale funktioniert. Und er will mit den Ehrenamtlichen im Gespräch bleiben, wissen, was sie antreibt, was ihnen missfällt. Und er will sehen, dass jeder in der Position ist, die er am besten ausfüllt.

Ein Stückchen Hoffnung

Als Modernisierer hat er viel zu tun. "Nicht alle Abläufe sind effizient", meint der Geschäftsführer. Und die Ehrenamtlichen bei allen Veränderungen, die ihm vorschweben, mitzunehmen, wird auch nicht einfach. Es wird dauern, darüber ist er sich im Klaren, aber es darf auch nicht zu lange Zeit in Anspruch nehmen. Sein Büro umzugestalten, war da leichter. Die Möbel aus den 1970er Jahren, die sein Vorgänger noch hatte, hat er längst hinausgeworfen. Jetzt stehen dort moderne Metallschränke, nicht gemütlich, aber effizient. Und an der Wand hinter seinem Schreibtisch hängt riesengroß ein Plakat. Das mit der Weltkugel und den Kindern aus den 1980er Jahren ist es nicht. Polyfka hat es zwar schon überall in den Archiven und Lagern des BRK gesucht, aber "leider nicht gefunden".

Es ist ein Bild mit zwei Flüchtlingskindern, die einen Sack vom Roten Kreuz bekommen haben. "Zwei Kinder voller Zukunft, die zumindest ein kleines Hilfspaket bekommen haben, und damit ein Stückchen Hoffnung", sagt Polyfka sichtlich tief bewegt. Die Freude über das Paket sieht man den Kindern an. Die Situation erinnert ihn an damals, als er mit der Ausreisewelle nach Deutschland kam, "auch wenn ich hier keine Parallele ziehen mag". Die Kinder sind aus einem Kriegsgebiet geflüchtet. Die Beweggründe seiner Familie nach Westen zu gehen waren andere.

© SZ vom 07.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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