Quadro Nuevo:Seide auf der Haut

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Die Formation Quadro Nuevo bringt den vielstimmigen Sound der Welt nach Dachau und beschert den Besuchern in der ausverkauften Friedenskirche ein musikalisches Weihnachtswunder.

Bärbel Schäfer

Mulo Francel (Mitte) verzaubert zusammen mit seiner Band Quadro Nuevo (hier Andreas Hinterseher, links, und D.D. Lowka, rechts) das Dachauer Publikum mit unbändiger Spielfreude. (Foto: Toni Heigl)

- Das Wintermärchen hat einen verblichenen Glanz und sieht ziemlich verrottet aus. Aber es ist voll beseligter Poesie, beflügelt den Geist und wärmt die Herzen. Mulo Francel, der Charmeur auf dem alten Selmer-Vintage-Saxofon, der Weltmusik-Flüsterer und Tango-Verführer, gastierte mit seiner Band Quadro Nuevo in der ausverkauften Friedenskirche und betörte das Publikum in einem magischen Weihnachtskonzert.

Dass die Musik von Quadro Nuevo einen unwiderstehlichen Zauber hat, kann man allein daran erkennen, dass Axel Blanz, Programmchef des Dachauer Jazz e.V., im Publikum saß. Der Verfechter von Hardcore- und Free-Jazz genießt durchaus mal einen friedlichen Sound, außerdem bewundert er das sehnsüchtige und filigrane Saxofonspiel von Mulo Francel. Die beiden Musiker begrüßten sich freudig in der Pause. Quadro Nuevo war in der Anfangszeit des Jazz e.V. zu Gast im Café Teufelhart, damals noch auf Empfehlung von Richard Klimek, der das Potenzial des Quartetts erkannte, obschon man zwischenzeitlich völlig unterschiedliche Richtungen verfolgt.

Dass das mittlerweile weltweit gefragte Quartett immer noch gerne und in unterschiedlicher Besetzung nach Dachau kommt, ist Frank Striegler zu verdanken. Er pflegt die Kontakte zu den Musikern und sie danken es ihm, indem sie die kleine Leierkasten-Bühne nicht vergessen, auch wenn sie schon berühmt sind. Quadro Nuevo jedenfalls hat einen vollen Tourkalender und reist durch viele Länder, von deren Kulturen sie sich inspirieren lassen.

Weltoffenheit und Toleranz spricht aus jedem Ton, den Mulo Francel auf Klarinette und Saxofon, Andreas Hinterseher auf Akkordeon, Bandoneon und Vibrafon, D.D. Lowka an Kontrabass und Percussion sowie Evelyn Huber auf der Harfe und dem Hackbrett anstimmen. Die unbändige Spielfreude des Quartetts ist trotz der vielen Tausend Auftritte authentisch, die Musik klingt frisch und unverbraucht. Sie verspricht nicht nur einen Trip in die entlegensten Winkel der Erde, wo die Band vergessene Melodien ausgräbt, sondern sie ist pures, sinnliches Vergnügen. Weil Quadro Nuevo ständig auf der Suche nach neuen musikalischen Erfahrungen sind, konzertieren sie am 6. März in der Philharmonie in München mit den Symphonikern.

"Maria durch ein Dornwald ging" oder das amerikanische, aus dem 19. Jahrhundert stammende "O little town of Bethlehem" verwandeln sich in munter treibende Weltmusik. Das schwedische Weihnachtslied eines Kirchenmusikers wird zum melancholischen Parlando, das jiddische Lied eines polnischen Juden, der im Warschauer Getto umkam, zur Schicksalsmelodie. Hits wie "Leise rieselt der Schnee", "Süßer die Glocken nie klingen" und "Alle Jahre wieder" werden zum kitschfreien, elektrisierendes Medley.

Mulo Francels Klarinetten und Saxofone lachen und weinen, flüstern, plappern und brummen dank Zirkularatmung wie ein Didgeridoo. Harfenzauberin Evelyn Hubers gibt der Musik eine eigene Stilkennung, indem sie mit dem Klischee vom schmachtenden Klang bricht, in die Saiten haut und in feinsten Farbvaleurs spielt. Wunderbar sind D.D. Lowka und Andreas Hinterseher mit einem untrüglichen Gespür für Stimmung. Lowka ist nicht nur versierter Bassist, sondern auch gefühlvoller Percussionist, und Andreas Hinterseher färbt jedes Stück selbstvergessen mit der Klangfarbe von Akkordeon und Bandoneon. So kommt nicht nur der Weihnachtszauber in größter Hingabe zum Publikum, sondern die ganze menschliche Gefühlswelt. Da werden die leisesten Töne ausgekostet, mit Klopfgeräuschen auf der Klarinette, auf dem Korpus des Basses und dem Rahmen der Harfe, mit dem eisenbeschlagenen Absatz der gamaschenartigen Dandy-Schuhe, mit dem Atmen der Klarinette: Das ist Seide auf der Haut. Hinreißend ist Mulo Francels Intermezzo mit einer afrikanischen Sansula, deren Metallzungen er vor der Brust nachschwingen lässt, woraufhin D.D. Lowka seinen Kontrabass sanft schaukelt. Wunderbar ist "Paprika" aus dem Zyklus vertonter Gewürze, das die Farben und Gerüche des Balkans in aufbäumenden Arabesken heraufbeschwört und das Kakao-Lied als packende Folklore der versunkenen Azteken, zu dem eine Besucherin zu Füßen der Band tanzt. Die "Reise nach Batumi" wird zum Trip zwischen West und Ost, während "Antakya" ein Beitrag zum Weihnachtsfrieden ist. An der türkisch-syrischen Grenze leben Christen, Juden und Moslems friedlich nebeneinander. Astor Piazzollas ekstatischer "Libertango" findet seinen Widerhall im bayerischen "Es werd scho glei dumpa". Die letzte Glückserfüllung verspricht die Zugabe, ein altes französisches Weihnachtslied: Ochs und Esel stehen in der Krippe und wärmen mit ihrem Atem das neugeborene Kind. Die Klarinette haucht kaum hörbar zu silbrigen Klängen. Magisches, zauberisches Weihnachtswunder.

© SZ vom 17.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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