Prozessauftakt vor dem Landgericht München II:Mit dem Neffen auf Raubzug

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38-Jähriger muss sich zusammen mit dem 16-jährigen Sohn seiner Schwester vor dem Landgericht München verantworten. Bei zahlreichen Überfällen und Einbrüchen haben sie einen Schaden von 17 000 Euro angerichtet

Von Andreas Salch, Dachau/München

Ausgerechnet im Gefängnis wurde ihm das Leben gerettet. Der Häftling hatte Hepatitis und TBC und wurde geheilt. Ohne Behandlung, so sagten ihm seine Ärzte später, hätte er noch ein halbes, höchstens aber ein Jahr zu leben gehabt. "Ich bin dankbar, ins Gefängnis gekommen zu sein", sagte der 38-Jährige am Montag vor der 1. Jugendstrafkammer am Landgericht München II. Der Grund dafür, dass er sich vor einer Jugendstrafkammer verantworten muss, ist sein Neffe, der mit ihm auf der Anklagebank sitzt. Er ist erst 16 und geht noch zur Schule. In der Zeit zwischen April und Anfang August vergangenen Jahres brach der 38-Jährige in Wohnungen in Dachau ein oder verübte gemeinsam mit seinem Neffen Raubüberfälle und Einbrüche in Dachau und München. Dabei entstand ein Schaden von insgesamt etwas mehr als 17 000 Euro. Die beiden Angeklagten bekennen sich im Wesentlichen zu den Vorwürfen aus der Anklage der Staatsanwaltschaft.

Allein in der Nacht des 14. Juli versuchte der 38-Jährige, der nie einen Beruf erlernt hat, in mehrere Anwesen in Dachau einzudringen. Dreimal scheiterte er. In der Hermann-Stockmann-Straße jedoch gelang es ihm, in das Haus eines 76-Jährigen einzusteigen. Es war weit nach Mitternacht. Der Rentner war durch den Lärm, den der Angeklagte verursachte, aufgewacht. Als der Eindringling den 76-Jährigen bemerkte, schlug er sofort auf ihn ein, packte ihn an den Haaren und zerrte ihn "gewaltsam aus seinem Bett", heißt es in der Anklage der Staatsanwaltschaft. Der Angeklagte erbeutete 600 Euro Bargeld. Bei seiner Flucht nahm er aus dem Kühlschrank noch sechs Flaschen Bier mit. Der 76-Jährige erlitt bei der Tat mehrere Schürf- und Risswunden am Kopf und an den Händen.

Eigentlich sei er Ende 2015 nach Deutschland gekommen, um zu arbeiten, sagte der 38-Jährige bei seiner Vernehmung vor Gericht. In Stuttgart fand er sogar einen Job als Bauhelfer. Abends und in seiner Freizeit wohnte er mit sechs anderen Männern in einem Zimmer. Dafür musste er seinem Chef 100 Euro im Monat bezahlen. Nach zwei Monaten hatte der 38-Jährige genug. Er ging nach Dachau, wo er bei seiner Schwester unterkam. Doch eine Arbeit fand er nicht. Der Mann spricht kein Wort deutsch. Doch nicht nur deswegen, habe er keine Stelle gefunden, vermutet er, sondern auch, weil er vorbestraft ist. In seiner Heimat Bulgarien verbrachte der Angeklagte insgesamt fast 20 Jahre im Gefängnis. Meistens saß er wegen Diebstahls ein.

Um an Geld zu kommen, beging der 38-Jährige deshalb in Dachau und Umgebung Diebstähle, Einbrüche und Raubüberfälle - unter anderem Ende Juli 2016 in einer Apotheke in Allach-Untermenzing. Dort erbeutete er mit seinem Neffen 350 Euro. Gegen den 16-Jährigen liegen drei Anklagen vor. Außer für die Taten, die er mit seinem Onkel begangen hat, muss sich der Schüler wegen Bedrohung und Beleidigung verantworten. Nach seiner Inhaftierung hatte er in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim unter anderem einem Mitgefangenen gedroht: "Du bist ein Verräter, dir zerschneide ich das Gesicht."

Der 16-Jährige gab an, er habe sich an den Überfällen auf Apotheken oder Lotto-Annahmestellen beteiligt, weil er Geld für Drogen gebraucht habe. Er habe vor allem Gras und Kräutermischungen, Drogen also, gekauft. Warum, wollte Richterin Regina Holstein von dem Schüler wissen. "Einfach so", erwiderte der. Ob er sich denn bewusst gewesen sei, dass er hätte sterben können, fragte die Vorsitzende. "Ich habe nicht so wirklich nachgedacht", lautete die Antwort des Schülers.

Am 9. August vorigen Jahres wurde der 38-Jährige bei einem Überfall mit seinem Neffen auf eine Apotheke in Karlsfeld von Passanten überwältigt und von der Polizei verhaftet. Der 16-Jährige hatte zunächst so getan, als wolle er etwas kaufen. Als er zur Kasse ging und die Apothekerin diese öffnete, stieß sein Onkel die Frau laut Anklage mit "erheblicher körperlicher Gewalt zu Boden." Der Angeklagte erbeutete 300 Euro und rannte auf die Straße. Einen Passanten, der den Täter festhielt, bedrohte er mit einem Messer. Als zwei weitere Männer hinzukamen, gab der 38-Jährige auf. Seinem Neffen gelang zunächst die Flucht. Er wurde Anfang Dezember vorigen Jahres von der Polizei festgenommen. Ein Urteil in dem Prozess wird erst Mitte März erwartet.

© SZ vom 16.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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