Prozessauftakt:Volksfestbesuch mit schmerzhaften Folgen

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Das Amtsgericht verhandelt eine Prügelei, bei der sich die Beteiligten gegenseitig die Schuld zuweisen

Von Thomas Hürner, Dachau

Eigentlich schien der Disput bereinigt, die Beteiligten gaben sich die Hand und sagten zueinander: "Ihr seid coole Typen, wir sind coole Typen. Wir machen keine Anzeige, okay?" Eine Partei hielt sich dann aber doch nicht an diese Abmachung unter Ehrenmännern, und zu ihrem eigenen Unverständnis war es genau jene Partei, die dann am Dienstagvormittag auf der Anklagebank Platz nehmen musste. Gefährliche Körperverletzung wird den Zwillingen vorgeworfen, die Verhandlung wurde jedoch vertagt, weil Richter Christian Calame vor seiner Urteilsfindung noch zusätzliche Zeugen anhören möchte.

Der erste Verhandlungstag gestaltete sich jedenfalls wie so häufig, wenn alkoholisierte Männer nach dem Volksfest aneinander geraten: Es herrschen bisweilen große Erinnerungslücken, trotzdem wissen sich Partei A und B samt dazugehöriger Zeugen geschlossen auf jeweils eine Version zu verständigen.

Die eine Version, die der Angeklagten, geht so: Die beiden jungen Männer sind in der Bahnhofsstraße in Hebertshausen unterwegs, als sie plötzlich beleidigt werden von einer Person, die ihnen wenig später einen Roller entwenden will. Der Versuch scheitert jedoch und die Zwillinge gehen mit ihren Freunden weiter. Sie treffen später aber erneut auf den Mann, und diesmal geht der einfach auf einen der beiden los. Der andere Zwilling wird derweil von drei Frauen attackiert, ehe ein weiterer Mann aus dem Garten stürmt, mit einer Waffe in der Hand und der Drohung: "Ich schieße euch in den Kopf!"

Die andere Version, die von Partei B, liest sich hingegen anders: Laute Musik vor der Wohnung veranlasste einen Mann, diese zu verlassen und mal nach dem Rechten zu sehen. Den Versuch, einen Roller zu entwenden, will er aber nicht unternommen haben, immerhin war er mit Freunden auf dem Hebertshausener Volksfest und hat mit ihnen dann in der Wohnung munter weiter getrunken. Als er vor die Tür tritt, wird er umgehend von einem der Zwillinge attackiert, auf dem Boden liegend treten sie auf ihn ein, der andere Zwilling kümmert sich um die Frauen. Und der Mann mit der Waffe hat diese nur widerwillig hervorgezogen, um deeskalierend auf das Geschehen einzuwirken.

Fest steht eigentlich nur, dass bei Partei B auch nach mehr als einem Jahr Unverständnis darüber herrscht, dass Partei A das Ganze doch angezeigt hat. "Ich wollte das sicher nicht", sagte der Mann, der möglicherweise von den Zwillingen getreten wurde und nach eigenen Angaben mindestens fünf Maß Bier getrunken hatte. Warum er überhaupt nach draußen gegangen ist? "Keine Ahnung, ich war sehr betrunken." Am nächsten Tag sei er mit seiner Ehefrau in die Klinik gefahren, ganz schön zugerichtet habe er ausgesehen, die Nase habe man ihm gebrochen. Ein Attest kann er aber nicht vorlegen. "Wollte ich auch gar nicht, ich dachte die Sache wäre erledigt", sagte er. Sein Freund mit der Waffe hatte jedenfalls noch einen Hund dabei. Auch mit diesem sei ihnen gedroht worden, sagten die Zwillinge: "Wenn ich einmal 'Fass' sage, dann beißt er!" Für unbeteiligte Nachbarn, die das Geschehen in Teilen mitverfolgten und schließlich die Polizei verständigten, ein "wirklich süßer Hund", den sie später sogar gestreichelt hätten.

Das Ehepaar aus Hebertshausen konnte auf dem Zeugenstand jedoch auch nicht wirklich für Klarheit sorgen. Es sei dunkel und hektisch gewesen. Eine handfeste Schlägerei habe der Ehemann nicht gesehen, aber er habe sich auch primär um eine am Boden liegende Frau gekümmert. Seine Ehefrau sagte aus, dass sie einen Tritt von einem der Zwillinge gegen diese Frau erkannt habe.

Der Bericht der Polizei konnte auch keinen Aufschluss darüber geben, was sich wirklich zugetragen hat. Ein offenbar lückenhaftes Dokument ohne Fotos, dessen schlampige Anfertigung Richter Calame jedoch verteidigte: "Es war Volksfest, da haben die Beamten viel zu tun und eilen von einem Fall zum nächsten." Der Anwalt von einem der Zwillinge fragte nicht ganz unbegründet nach: "Und das bei einem Fall, wo eine Waffe im Spiel ist? Es hakt doch irgendwo."

© SZ vom 09.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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