Projekt-Seminar:Die Entlarvung

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15 Abiturienten des Josef-Effner-Gymnasium gehen gemeinsam mit Lehrer Christian Stähler und dem israelischen Fotokünstler Ilan Wolff auf Spurensuche nach Nazi-Architektur. Sie entdecken auch das Lächerliche im Monumentalen

Von Christiane Bracht, Dachau

"Es ist besser, etwas Gutes nachzuahmen, als Schlechtes zu produzieren", hatte Adolf Hitler einst verkündet. Und so kopierte er in den 1930er Jahren den Stil der Antike, ließ monumentale Gebäude errichten, zu denen jeder aufschauen sollte - vor allem in München, der "Hauptstadt der Bewegung" und in Nürnberg, wo die Reichsparteitage abgehalten wurden. Doch was ist von der großmächtigen Architektur noch übrig? Haus der Kunst, die Bauten am Königsplatz in München und Zepelintribüne in Nürnberg sind unverkennbar aus jener Zeit. Doch wie viele Gebäude nimmt man im Alltag gar nicht mehr als Nazibauten wahr?

15 Schüler des Josef-Effner-Gymnasiums in Dachau haben sich eineinhalb Jahre mit dem Thema beschäftigt, sind auf Spurensuche gegangen nicht nur in München und Nürnberg, sondern auch in ihrer Heimatstadt. Und sie haben erstaunliche Entdeckungen gemacht, die sie nun in einer Ausstellung im Parkettbereich der Schule präsentieren. "Die meisten von uns leben schon seit sie denken können hier, aber das historische Dachau gerät dabei in Vergessenheit. Die Relikte der Nazizeit fallen nicht mehr so auf. Erinnert wird man immer dann, wenn jemand im Urlaub entsetzt fragt: Was? In Dachau kann man auch wohnen?", erzählt Kristin Majewski bei der Vernissage am Dienstagabend.

Verfassungsfeindliche Symbole im Haus der Kunst

Das Interesse an der Ausstellung ist groß, Eltern, Bekannte und Verwandte, sogar der Landrat sind gekommen, aber auch Mitschüler schauen sich die PVC-Banner, die von der Decke hängen, fasziniert an. Darauf haben die Zwölftklässler ihre Fotos projiziert: Das Zeppelinfeld mit Tribüne, die dem Kolosseum in Rom nachempfundene Kongresshalle in Nürnberg, auch das Haus der Kunst und die Musikhochschule in München haben sich die Gymnasiasten genauer angesehen. Detailaufnahmen fördern Erstaunliches zutage: An Eingangstüren, Fenstergittern oder den Deckenmosaiken im Säulengang vom Haus der Kunst sind noch immer Hakenkreuze dargestellt. Sie sind schon lange als verfassungsfeindliche Symbole verboten, aber dort werden sie als historische Überbleibsel am Bestand der Häuser geduldet. Kaum einem fallen sie noch auf, und das ist das Erschreckende. "Man müsste sie besser visualisieren, Infotafeln daneben stellen", fordert der Lehrer des Projekt-Seminars Christian Stähler. Natürlich hat er mit seinen Schülern darüber diskutiert, was für einen Sinn die damals omnipräsenten Hakenkreuze hatten, und sie thematisierten auch die Verführung der Massen.

Geschichtslehrer Stähler ist noch immer beeindruckt vom Engagement seiner Schüler. "Sie mussten morgens um 6.30 Uhr mit dem Bus nach Nürnberg fahren. Da war die Begeisterung nicht bei allen sofort greifbar", erinnert er sich. "Aber es hat sich gelohnt", schwärmt die 17-jährige Jessica Rohrbach noch jetzt. Dabei hatte sie das Seminar nur gewählt, weil sie den Lehrer gut fand. "Früher hatte ich mit Geschichte nicht viel am Hut. Ich dachte, das ist vorbei und hat keine Auswirkungen auf heute. Aber jetzt weiß ich: Man muss die Vergangenheit kennen, um Politik verstehen zu können", sagt die 17-Jährige. "Und ich weiß, dass eine gewisse Sensibilität angemessen ist. Früher habe ich das eher als kleinkariert empfunden."

Durch die Verzerrung wird der Schrecken greifbar

"Klare Linien, massive Bauweise, das zeichnet die Architektur der Nationalsozialisten aus. Der einfache Bürger sollte sich klein und unbedeutend fühlen", erklärt Majewski den Ausstellungsbesuchern. Und das kommt auch gut rüber in den Fotos der Jugendlichen. Die mächtige Treppe in der Hochschule für Musik und Theater in München beispielsweise, auf der Hitler seine Überlegenheit demonstrierte. Sie spiegelt den Titel der Ausstellung auch wunderbar wider: "Bauten für den Führer - Bauten für die Ewigkeit". Der israelische Fotokünstler Ilan Wolff, der im Sommer mit den Zwölftklässlern in der KZ-Gedenkstätte Dachau fotografierte, empfindet ihn indes eher "komisch". "Das Schreckliche und Verbrecherische gehört auch zum Regime und zur Ideologie der Nazis. Das wollte ich herausstellen", verteidigt Stähler den Titel. "Ich wollte dem schönen Schein etwas entgegensetzen, die Fassade einer furchtbar hässlichen Fratze. Denn auch das Konzentrationslager ist Teil der Architektur."

Die Bilder von der Dachauer Gedenkstätte fallen besonders ins Auge, nicht nur wegen ihrer furchtbaren Geschichte: Sie sind schwarz-weiß und sehr verzerrt. Die Jugendlichen haben sie mit selbst gebastelten Lochkameras aufgenommen. "Durch die Verzerrung wird der Schrecken greifbarer, die Gefangenschaft plastischer", erklärt der Lehrer. "Die lang gestreckten Pritschen lösen ein Befangenheitsgefühl aus." Nicht die Kunst sollte im Vordergrund stehen, sondern vielmehr der Perspektivwechsel. Und das Experiment ist geglückt. "Es regt zum Nachdenken an. Vor allem die Schwarz-Weiß-Bilder wirken beklemmend", sagt ein Elternpaar. Und auch die Schüler sind gerade von dieser Arbeit begeistert. "Es war spannend. Wir haben viel Neues dazugelernt", sagten Ante Petrovic und Manuel Nefzger. "Toll, wie das Bild in der Dunkelkammer langsam erscheint", begeistert sich Sophie Steinhardt noch immer. "Und die Bilder sind toll geworden. Darauf können wir stolz sein", pflichtet ihr Sarah Pfitzner bei. Auf einer Leinwand im Hintergrund präsentieren die Zwölftklässler, wie sie mit Ilan Wolff gearbeitet haben. Die Ausstellung ist noch zwei Wochen lang zu sehen.

© SZ vom 09.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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