Porträt:Alles für die Katz

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Silvia Gruber leitet seit 20 Jahren das Dachauer Tierheim. Nun erhielt es den Tierschutzpreis

Von Jana Rick, Dachau

Silvia Gruber beschenkt an diesem Heiligabend insgesamt 86 Tiere. Jedes Tier im Dachauer Tierheim bekommt von der Leiterin eine kleine Überraschung, das hat seit vielen Jahren Tradition. Die Katzen im alten Katzenhaus des Dachauer Tierheims werden mit Heizungsliegen beschert und die Hunde dürfen sich über Putenwiener freuen. Die insgesamt 40 Kleintiere wie Meerschweinchen und Kaninchen bekommen von Gruber Tunnel aus Heu und Knäckebrot.

Manch einer mag diese tierische Bescherung belächeln. Diese Reaktion ist Silvia Gruber gewohnt. Die Dachauerin war bereits Gründungsmitglied des Tierschutzvereins. Als das Tierheim im Jahr 1998, elf Jahre nachdem es den Betrieb aufgenommen hatte, kurz vor der Auflösung stand, übernahm sie "in einem Anfall geistiger Umnachtung", wie sie heute sagt, die Rolle der ersten Vorsitzenden. "Eigentlich nur kommissarisch", sagt die 60-Jährige. "Doch jetzt sitze ich immer noch hier".

Im kleinen Büro des Tierheims in der Roßwachtstraße herrscht keine große Ordnung. Die Menschen stehen hier nicht an erster Stelle. Es sind die 15 Hunde, die 40 Kleintiere und die 31 Katzen, um die sich an diesem Ort alles dreht. Bei einem Rundgang durch das Tierheim wird sofort klar, dass hier alles getan wird, um den Tieren die beste Unterbringung zu bieten. Die Kaninchen und Meerschweinchen können sich in mit Stroh ausgelegten Zimmern austoben und auf einer Tafel hat sich fast stündlich ein "Gassigeher" eingetragen.

Die 14 ehrenamtlichen Helfer hingegen arbeiten auf engstem Raum. Die Vorratskammer ist bis zur Decke mit Katzenfutter gefüllt, die Gänge sind mit Kartons vollgestellt, die Teeküche wurde zur Tierküche umgebaut. In der Gestaltung der Räume steckt sehr viel Herzblut, genauso in den kleinen Wippen aus Holz, die Ehrenamtliche für die Hamster gebastelt haben. Jedes Tier ist registriert und mit einer Nummer, sowie mit einem Namen, gekennzeichnet. Die Namen der Fundtiere beginnen mit dem Anfangsbuchstaben ihres Fundorts: Kaninchen Vroni kommt also aus Vierkirchen, Igel Dieter aus Dachau. Wie sie gibt es viele Tiere, die im Landkreis herrenlos gefunden und dann beim Tierheim abgegeben werden. Dieses ist sogar 24 Stunden erreichbar, ein Hausmeister lebt direkt am Heim und das Telefon wird nachts auf Silvia Gruber umgestellt.

Die Vorsitzende des Tierschutzvereins Dachau Silvia Gruber findet, dass Tiere generell nicht als Show-Element auf Volksfesten genutzt werden sollten. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Seitdem sie erste Vorsitzende des Tierschutzes ist, opfert sie alle Zeit, die ihr zur Verfügung steht, für die Tiere. Ihren letzten freien Tag hatte Gruber, wie sie sagt, im Januar 2001. In den Urlaub zu fahren, kommt für sie nicht in Frage. Sie möchte immer für das Tierheim erreichbar sein. "Mein Team weiß immer, wo ich bin", sagt sie. "Bei uns gibt es kein Wochenende, wir arbeiten sieben Tage die Woche." Einen Hund interessiere es nicht, ob Sonntag oder Dienstag ist. "Es gibt keinen Tag ohne Tierschutz", sagt Gruber und sagt es ohne Zweifel auch als Appell an andere.

Während der vielen Jahre im Tierheim hat Gruber viel erlebt. So musste sie vor einigen Jahren ein Känguru auf den Bahngleisen einfangen. Auch Nandus und Pfaue hatte sie schon im Tierheim untergebracht. Doch was Gruber am meisten erstaunt und beschäftigt, ist das Verhalten vieler Menschen. Noch immer ungläubig erzählt sie von einer Frau, die ihre weiße Perserkatze abgeben wollte, weil sie nicht mehr zu ihrer Sofagarnitur passte. "Da fehlen einem die Worte."

Gruber hat sich viel Fachwissen angeeignet. (Foto: Niels P. Joergensen)

Dass sie im Tierheim die erste Ansprechpartnerin ist, bekommt man schon rasch mit. Einmal ist das Veterinäramt am Telefon und Gruber versucht hartnäckig eine Operation für einen kleinen Mops durchzusetzen. Ihr medizinisches Wissen hat sie sich nach den vielen Jahren durch die Zusammenarbeit mit Tierärzten und durch das Lesen von Fachbüchern angeeignet. Darin liegt auch eine ihrer größten Sorgen, denn die jahrelange Erfahrung kann sie nur schwer weitergeben. Fragt man die Leiterin des Tierheims, ob sie schon einen möglichen Nachfolger hat, dann winkt sie nur lachend ab. "Da sagt jeder sofort nein." Der Hauptgrund liegt laut Gruber darin, dass im Bereich des Tierschutzes das Ehrenamt von der Gesellschaft wenig wertgeschätzt werde. "Ich habe mir eine dicke Haut anschaffen müssen", sagt die Tierschützerin. Wer sich im Tierschutz engagiere, um Anerkennung zu bekommen, sei dort fehl am Platz. Gruber wird oft für ihre Tierliebe belächelt. Aber manchmal auch beschimpft. Zum Beispiel wenn sie bei einer gemeldeten Tiermisshandlung angeblich "nichts tue", aber tatsächlich aufgrund des Gesetzes nicht eingreifen darf. Gruber hat gelernt mit dieser Einstellung anderer umzugehen. Und warum sie trotz aller Schwierigkeiten Tag um Tag ihrer Arbeit nachgeht, muss man sie gar nicht fragen, denn die Antwort ist klar: Sie macht es für die Tiere. Und für sich selbst.

"Ich bekomme etwas zurück, was Menschen, die zu Tieren keine Verbindung haben, nicht nachvollziehen können", erklärt Gruber. Diese starke Tierliebe habe sie von Kind an. Bereits im Krabbelalter sei sie einfach zu einem Kettenhund in die Hundehütte gekrochen. "Tiere sind dankbar, man muss es nur annehmen können", sagt sie heute. Ein Erfolg sei es etwa, wenn ein Hund, der monatelang keinen Mensch an sich herangelassen hat, plötzlich mit dem Schwanz wedelt.

Die Bewohner brauchen viel Pflege, auch mal eine Operation. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Erfolgserlebnisse hatte das Tierheim-Team dieses Jahr viele. Da war Kater Micky, der nach monatelanger Suche endlich ein neues Zuhause gefunden hat und sogar extra nach Hamburg geflogen wurde. Aber die Pfleger freuen sich auch über kleine Fortschritte. "Zum Beispiel über ein festes Würstchen", sagt Gruber. Wenn ein Tier wochenlang an Durchfall leidet und dann endlich einen normalen Kot hat, dann wird davon oft ein stolzes Foto per Whatsapp an Gruber geschickt. Gruber weiß, dass das für Außenstehende schwer nachzuvollziehen ist: "Wir sind alle nicht normal." Aber es sind diese kleinen Erfolge ihrer guten Pflege, die den Ehrenamtlichen ihr Durchhaltevermögen geben.

Manchmal gibt es dafür auch eine größere Belohnung. Dazu gehört der Bayerische Tierschutzpreis, den der Dachauer Tierschutzverein im Juni dieses Jahres verliehen bekommen hat. Gruber hat mit dieser hohen Anerkennung nicht gerechnet. Das Preisgeld von 20 000 Euro floss in den Betrieb, der schon mehrmals große Geldsorgen hatte. Das Tierheim finanziert sich aus Zuschüssen von Stadt und Gemeinden sowie von 30 000 Euro Mitgliedsbeiträgen im Jahr. Doch Gruber erklärt, dass sie schon in einem Monat mehr brauche. "Nur mit Idealismus kann ich kein Tierheim leiten." Viele würden vergessen, dass der Betrieb Wasser, Strom und Benzin bezahlen muss. Dass die derzeit 86 Tiere gefüttert und medizinisch versorgt werden müssen.

Immer wieder werden auch exotische Tiere aufgenommen. (Foto: Niels P. Joergensen)

Vom knappen Budget versucht Gruber Rücklagen zu bilden, damit sie in Notfällen eine kaputte Waschmaschine oder ein undichtes Dach reparieren lassen kann. Die größte Schwierigkeit ist für Gruber, dass sie die Ausgaben des Tierheims nicht planen kann. Von einem Tag auf den anderen kann plötzlich ein illegaler Tiertransporter gefasst werden und sie muss hundert kleine Hamster versorgen.

Vom Preisgeld des Tierschutzpreises plant Silvia Gruber einen Multifunktionsbau, der zusätzliche Hunde- und Katzenzimmer sowie neue Räume für die Hundequarantäne bieten soll. Die Zwingergrößen für die Hunde entsprechen schon lange nicht mehr den Vorschriften und der Neubau soll das ändern. Insgesamt 900 000 Euro wird der Bau etwa kosten, 700 000 Euro kann das Tierheim selbst aufbringen, hauptsächlich durch Erbschaften. Für den Differenzbetrag von 200 000 Euro stellte Gruber Zuschussanträge bei den Kommunen und beim Landkreis, doch sie hofft auch auf Spenden von Privatpersonen. Die Bauarbeiten sollen dann im Frühjahr beginnen.

Silvia Grubers Wunsch für das neue Jahr ist jedoch nicht nur auf Tiere bezogen: "Ich wünsche mir, dass der Mensch begreift, wie kostbar unsere Erde ist." Gruber ist der Meinung, dass man die Welt schützen muss und dass dafür jeder bei sich selbst anfangen sollte. "Wer nicht kämpft, hat schon verloren", sagt Gruber und spricht dabei wahrscheinlich auch über ihr Lebensmotto. Vor dem Büro grüßt Gruber eine Mutter, die gerade mit ihrer Tochter einen Hamster abgeholt hat, welcher nun ein neues Zuhause bekommt. Gruber lächelt und verabschiedet sich von dem kleinen Nagetier. Ihr Kampf hat sich wieder einmal gelohnt.

© SZ vom 24.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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