Es ist merkwürdig, dass sowohl Mozarts als auch Beethovens Komposition der aus den Teilen Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei bestehenden katholischen Messe für den ganz besonderen Anlass viel zu groß geraten ist. Beethoven hat seine für die Ernennung des Erzherzogs Rudolf zum Erzbischof von Olmütz komponierte "Missa solemnis" erst zwei Jahre nach den Krönungsfeierlichkeiten fertiggestellt, und Mozarts Große Messe in c-Moll, mit der er seine Frau Konstanze den Salzburgern und vor allem ihrem äußerst skeptischen Schwiegervater vorstellen wollte, wurde überhaupt nie fertig.
Auch Johann Sebastian Bachs aus evangelischer Hand für den katholischen Hof in Dresden geschriebene große h-Moll-Messe überstieg im Schwierigkeitsgrad jedes damals übliche Maß der Messenkomposition. Beethovens "Missa solemnis" ist selbst für große und sehr gut geschulte Laienchöre wie in Dachau die Chorgemeinschaft und die Liedertafel, nicht aufführbar, und auch der sogenannten Hohen Messe von Bach gehen sie aus dem Weg. (Der Kammerchor Dachau aber will es heuer im November wagen.) Mozarts gewaltigen Torso seiner Großen Messe c-Moll führte jetzt die Chorgemeinschaft Dachau unter der Leitung von Rudi Forche auf, und zwar mit Riesenerfolg.
Wenn man dieses Werk nicht kennt oder zumindest längere Zeit nicht gehört hat - das dürfte beim Großteil der Zuhörer im sehr gut besetzten Festsaal des Dachauer Schlosses der Fall gewesen sein - ist man überrascht, welche monumentale Wucht Mozart darin entwickelt hat, wie unerhört dicht jeder einzelne Satz komponiert ist, und welche außerordentlichen Schwierigkeiten den Sopran-Solistinnen, dem Chor und auch dem Orchester zugemutet sind.
Von den Solisten hat der Bass die undankbarste Rolle. Er sitzt fast eine Stunde lang unbeteiligt dabei und hat nur beim "Benedictus", dem letzten von Mozart für diese Messe komponierten Satz, einige wenige Einsätze. Dem für Christof Hartkopf eingesprungenen Bass Timo Janzen gelang die Partie souverän. Der Tenor hat etwas mehr zu singen, er tritt bereits bei dem Satz "Quoniam tu solus sanctus" innerhalb des von Mozart sehr groß angelegten "Gloria" zu den beiden Solosopranen. Bernhard Schneider war, wie erwartet, ausgezeichnet. Aber die großen Partien dieser Komposition sind die beiden Soprane, vor allem der erste. Mozart hat diese Partie für seine Frau Konstanze geschrieben, die eine brillante Sängerin gewesen sein muss und die hier alle Register ihrer Könnens ziehen durfte. Rudi Forche gewann für diese überaus anspruchsvolle Partie Judith Spiesser. Sie war glänzend. Am meisten beeindruckte sie im "Et incarnatus est" des "Credo", wo sie nach sehr schön gesungenem lyrischem Solo zusammen mit Oboe, Flöte und Fagott, geführt wie ein weiteres Blasinstrument, eine Aufsehen erregende Solokadenz zu gestalten hatte - hinreißend gesungen von allen vier Solisten.
Im großen Gegensatz zu den Kantilenen und den überaus reich und virtuos sprudelnden Koloraturen der Solosoprane - Desiree Brodka sang den von Mozart weniger brillant und dankbar geführten Zweiten Sopran - steht Mozarts oft kompakter Chorsatz. Geht er bei den Koloraturen im Wesentlichen von italienischer Gesangstechnik der neapolitanischen Oper aus, so klingen in den Chorsätzen barocke Traditionen nach. Dabei verlässt Mozart oft die übliche Vierstimmigkeit des Chorsatzes zugunsten von Fünfstimmigkei und verlangt beim "Sanctus" wie beim "Benedictus" achtstimmigen Doppelchor verlangt. Da war auch die Chorgemeinschaft Dachau mit ihren zur Zeit rund 70 Sängerinnen und Sängern aufs Äußerste gefordert.
Rudi Forche, der seinen Chor nun schon fast 40 Jahre lang leitet, ist ein sehr erfahrener Dirigent, der es versteht, Sängerinnen und Sänger optimal für alle anstehenden Aufgaben zu präparieren. So war die Chorgemeinschaft Dachau auch bei Mozarts c-Moll-Messe großartig. Selbst schwierige, in allen Stimmen stark bewegte Passagen gingen locker, wie selbstverständlich von den Lippen. Als Orchester hatte er ein aus Mitgliedern des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks gebildetes Ensemble, und das gehört bekanntlich zur Weltspitze unter den Orchestern.
Es war also keine Frage, ob der sehr aufwendig gestaltete Orchestersatz von Mozarts c-Moll-Messe in seiner ganzen Pracht aufblühen würde. Das war selbstverständlich der Fall. Auch Mozarts A-Dur-Sinfonie KV 201, mit der Forche den Konzertabend ergänzte - das Messenfragment dauert "nur" eine Stunde -, erklang optimal. Zu Beginn des Abends führte Forche das "Regina coeli" des 15-jährigen Mozart auf, bei dem sich die beiden Sopran-Solistinnen und auch der Chor "einsingen" konnten. Dieser Mozart-Abend der Chorgemeinschaft Dachau war hinreißend.