Riding Higher:Willkommenskultur

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Das Riding Higher in der Sandgrube von Höfa bei Odelzhausen hat sich zu einem bunten Familienfest entwickelt. Das verbindende Element ist immer noch die Musik. Doch längst ist das Begleitprogramm keine Begleiterscheinung mehr

Von Benjamin Emonts, Odelzhausen

Der Weg in die magische Parallelwelt führt über einen verschlungenen, verwachsenen Pfad. Traumfänger, die im Schwarzlicht leuchten, weisen den Weg durch das Dunkel der Nacht. Aber nicht nur sie. Es ist da auch diese Kraft, die einen hypnotisch in ihre Richtung zieht. Mit jedem Schritt wird sie stärker und vereinnahmender. Sie führt an einen Ort, an dem Drachen Feuer speien und künstlicher Nebel blau-grelles Scheinwerferlicht bricht; wo die Beats so laut sind, dass sie den ganzen Körper in Schwingung versetzen. An einen Ort, an dem die Menschen ekstatisch tanzen - und anscheinend alles um sich herum vergessen.

Hier, auf der Soundplantage, die von meterhohen Boxentürmen beschallt wird, vermag die Musik, was andernorts meist nur ein Traum bleibt: Sie vereint die Menschen, egal welcher Herkunft, welchen Alters, welcher Gesinnung, zu einer großen Familie. Schließlich ist es genau diese Botschaft, die das Riding-Higher-Benefizfestival aussenden will: Lebt in Frieden, seid tolerant, öffnet euch dem Fremden - und nicht zu vergessen: feiert zusammen. Auch im Jahr 2015, der bereits neunten Ausgabe des Riding Higher, ist dieses Konzept wieder voll aufgegangen. Einen entscheidenden Anteil daran haben die fast 150 Ehrenamtlichen, die an Bars, Essens- und Infoständen warmherzig und gastfreundlich sind. Das eigentlich Besondere am Riding Higher aber ist die Kombination aus Naturerlebnis, das die abgelegene, zugewachsene Sandgrube bietet, und der spirituell wirkenden Reggae-Musik mit all ihren Facetten.

Umso bedauernswerter empfanden es die Veranstalter, als die Dachauer Polizei im Vorfeld des Festivals massive Kontrollen im und um das Gelände ankündigte. Insgesamt 45 Zugangskarten forderte sie für Zivilfahnder an. Der Sprecher der Veranstalter des Odelzhausener Vereins Move-Together, der Grünen-Kreisrat und Sozialpädagoge Ludwig Gasteiger, kritisierte den geplanten Einsatz erneut als " unverhältnismäßige Großaktion", die auf Vorurteilen gegenüber bestimmter Personengruppen basiere. Ein Festival, das auch Familien mit kleinen Kindern anlockt, würde über solche Maßnahmen diskreditiert und potenzielle Besucher abgeschreckt.

Am Eingang zum Festivalgelände geben die Veranstalter Handzettel aus, auf denen sie auf die Polizeiaktion hinweisen. "Die schlimmsten Befürchtungen sind nicht eingetroffen", sagt Gasteiger der SZ am Samstagabend. Ungefähr zehn Zivilfahnder seien bisher auf dem Gelände gewesen. Ihnen sei, im Gegensatz zu den anderen Gästen, kein Armband ausgehändigt worden, damit sie leichter als Polizeibeamte zu identifizieren waren. Zumindest auf dem Festivalgelände fällt die Präsenz der Polizisten am Wochenende tatsächlich nicht auf. Bemerkbar ist, dass der süße Duft von Marihuana deutlich weniger vernehmbar ist als sonst. Die Leute sprechen über das Thema - und sind vorsichtiger geworden. Unklar ist auch, welches Ausmaß die Kontrollen außerhalb des Geländes hatten. Organisator Gasteiger zumindest weiß von zahlreichen Verkehrskontrollen, von denen ihm Festivalgäste berichtet haben sollen. Er ruft dazu auf, sämtliche Kontrollen nun beim Veranstalter zu melden und auf der Homepage zu veröffentlichen, sodass er sich ein abschließendes Bild machen könne. Die Dachauer Polizei kündigte am Sonntag eine Bilanz des insgesamt zweieinhalbtägigen Einsatzes erst für diesen Montag an.

Ob ein schlechtes Bild vom Riding Higher zu erwarten ist? Die Organisatoren glauben: Nein. Auch am Sonntag, dem dritten Festivaltag, berichteten weder Polizei noch der Verein Move-Together von irgendwelchen Vorfällen. Das ehemals reine Musikfestival hat sich längst zu einem Kultur- und Familienfest gewandelt, an dem Einheimische ebenso wie Reggae-Freunde aus ganz Europa teilnehmen.

Wegen des familiären Charakters und der Überschaubarkeit des Festivals kommen viele von ihnen mit dem Nachwuchs. In einem extra für die Kinderbetreuung abgegrenzten Waldstück können die Kleinen über einen Trampelpfad laufen und sich Holzschmuck basteln. Oder man macht es wie die fünfjährige Emily: Als die Reggae-Koryphäe Clinton Fearon & The Boogie Brown Band auf der Hauptbühne einen begeisternden Auftritt hinlegen, tanzt sie neben ihrer Mutter - mit einem überdimensionalen Kopfhörer als Lärmschutz.

Es ist genau das, was das Riding Higher von anderen Festivals unterscheidet. Trotz seiner großen Beliebtheit mit 2000 Besuchern ist es immer noch relativ klein und familiär. Die Musiker, die für relativ kleines Geld spielen, packen nach ihren Auftritten nicht etwa die Koffer, sondern mischen sich unter das Volk. Flüchtlinge, die umsonst Zutritt bekommen haben, tanzen neben Einheimischen und können für einige Stunden ihre Alltagssorgen vergessen.

Die aktive Integrations- und Willkommenskultur, für die sich die Veranstalter einsetzen, leben sie selbst vor. Die 150 Bekannten und Freunde arbeiten monatelang und unentgeltlich auf dieses eine Festival-Wochenende hin. Sie verrichten diese Arbeit für das Wohl anderer: In diesem Jahr kommt der Erlös dem Bayerischen Flüchtlingsrat, einem Kindergarten-Projekt in Tansania und einem Nottelefon für Menschen in Seenot zugute.

© SZ vom 27.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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