Odelzhausen/Riobamba:Geschafft

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Michael Teuber ist der erste Bergsteiger mit Handicap, der den Gipfel des 6300 Meter hohen Chimborazo in Ecuador bezwingt. Die Tour verlangt ihm größte Strapazen ab - sie ist die härteste und gefährlichste seines Lebens

Von Christiane Bracht, Odelzhausen/Riobamba

Schneller, höher, weiter und immer noch waghalsiger soll es sein. Getrieben von Ehrgeiz und dem Wunsch, seine Grenzen auszuloten, hat sich Michael Teuber in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer neuen Herausforderungen und Abenteuern gestellt. Bestzeiten auf dem Rennrad, fünf paralympische Goldmedaillen, Bergsteigen auf den Kilimandscharo - nichts schien den gelähmten Odelzhausener zu stoppen. Sein Credo: "Ein bissl' was geht immer noch." Grenzen schien es nicht zu geben - nicht für ihn - nicht einmal mit 48 Jahren. Doch das hat sich jetzt geändert. Zum ersten Mal in seinem Leben sagt Teuber: "Ich bin an meine Grenzen gestoßen. Man muss es realistisch sehen, mehr kann ich aus eigener Kraft nicht schaffen."

Nach acht Tagen Bergtour ganz oben: Michael Teuber jubelt auf der Spitze des Chimborazo in Ecuador. (Foto: oh)

Trotz seiner Lähmung von den Knien abwärts hat der Leistungssportler es jetzt gewagt, den höchsten Berg Ecuadors, den Chimborazo, zu besteigen. "Es war eine riesen Herausforderung", sagt er, und man hört förmlich die Anstrengung in seiner Stimme mitschwingen, die ihn das Unterfangen gekostet hat - aber auch den Stolz, den Gipfel auf etwa 6300 Metern erklommen zu haben. "Es war ein großartiges Erlebnis", schwärmt er. "Ich bin der erste Mensch mit Handicap, der den Berg bezwungen hat."

Die Tour mit Bergführer Emilio führte durch eine Welt aus Eis und Schnee. (Foto: oh)

Insgesamt acht Tage hat Teuber für die Tour gebraucht, auf die er sich monatelang vorbereitet hat. Welche Strapazen sie ihm abverlangt hat, kann man seinem Tagebuch entnehmen. "Es ist schon recht anstrengend, gegen Ende kommen Kopfschmerzen dazu", schreibt er über den siebenstündigen Aufstieg bis zum Basecamp auf 4000 Metern. "Nach der Tour ist es mir schlecht und das Kopfweh wird stärker." Auch er muss mit Höhenkrankheit und Sonnenstich kämpfen. Doch am nächsten Tag geht's ungeachtet aller Symptome weiter - Akklimatisationstouren stehen auf dem Programm. Die Bergsteiger vom DAV-Summit Club, mit denen Teuber unterwegs ist, müssen sich an die große Höhe herantasten. Die Luft ist dünn, das Steigen anstrengend. Ein "paar knifflige Stellen" gilt es zu überwinden - ein Vorgeschmack auf den schwierigsten Teil des Aufstiegs. "Teilweise hat die Sonne runtergebrannt, später kamen Regen, Graupel, Wind und Schnee" dazu. Und die Tafeln der am "Chimbo" Umgekommenen lassen die 13 Bergsteiger erschaudern. "Es waren laut Marco Cruz mehr als 100, die vor allem durch Steinschlag, Lawinen, Abstürze und Herzversagen ums Leben gekommen sind", schreibt Teuber. Marco Cruz ist der erste Bergführer Südamerikas, der trotz seiner inzwischen 72 Jahre sich bereit erklärt hat, Teuber auf den Gipfel zu begleiten. Er gilt in der Welt der Bergsteiger als Reinhold Messner der Anden und war bereits unzählige Male auf dem Chimborazo - das erste Mal mit 13. Für den Odelzhausener ist es eine große Ehre, gerade ihn für seine Expedition gewonnen zu haben.

Foto: oh (Foto: N/A)

"Der Gipfeltag beginnt um Mitternacht. Es ist eiskalt auf 5300 Meter Höhe - schätzungsweise minus 15 Grad." Dick eingepackt in mehreren Schichten Pullis, Hosen, Jacken und dicken Socken machen sich die Seilschaften am 9. Februar auf den Weg. Aus Angst vor Erfrierungen an den Füßen hat Teuber seine Schuhe zuvor sogar vorgeheizt. "Zunächst geht es über eine schwierige Traverse. . . rechts gähnende, schwarze Leere, links die Wand . . . Ich tue mich schwer mit den Steigeisen. Wir verlieren Zeit." Und die spielt hier eine wichtige Rolle: Bis zum Sonnenaufgang muss man den Gipfel erreicht haben, sonst weicht der Schnee auf, erklärt Teuber. Doch noch läuft die Gruppe in absoluter Dunkelheit, fühlt sich den Sternen "näher als irgendwo sonst auf der Erde" und bewundert die "unglaubliche Klarheit und die Details am Sternenhimmel", in der Ferne ein Wetterleuchten, unten die Lichter von Riobamba. Dann kommt die "Schlüsselstelle": fünf oder sechs Meter Klettern im Schwierigkeitsgrad zwei bis drei - für einen Gelähmten ist das fast ein Ding der Unmöglichkeit. Doch Bergführer Emilio zieht zur rechten Zeit am Seil und hilft dem ehrgeizigen Odelzhausener über die schwierigsten Stellen. Jetzt geht es im 45-Grad-Winkel den steilen Gletscher hinauf. Die ersten aus der Gruppe kehren um, auch Freund Thilo Komma-Pöllath, der Co-Autor von Teubers Biografie, "wackelt". "Ich selbst bin an der Grenze meiner Leistungsfähigkeit und würde am liebsten auch umdrehen, aber mein Ehrgeiz und mein Wille lassen das nicht zu", schreibt Teuber. Sie steigen weiter - es ist so steil, dass fast jeder Schritt "einen Meter nach oben" bedeutet. Pausen gibt es kaum. Drei Mal fünf Minuten vielleicht. Wer zu lang rastet, friert fest, erklärt Teuber. Emilio ermahnt den Odelzhausener, die Arme weniger einzusetzen. Mit seiner energieverschwendenden Technik werde er es sonst nicht schaffen.

7.30 Uhr: Der Gipfel ist erreicht. "Näher kann man Sonne und Sternen auf unserem Planeten nicht sein!" Teuber ist überwältigt, die Anspannung fällt ab, "das Gipfelglück bricht aus": Alle liegen sich "schluchzend in den Armen". "Es ist ein Gefühlsrausch", erklärt der 48-Jährige später. Er ist stolz, das "ultimative Ziel" erreicht zu haben. "Auch für Cruz und Emilio war es etwas besonderes, den ersten Mann mit Querschnittslähmung auf den Gipfel gebracht zu haben." Klar, der Moment muss festgehalten werden - ein für alle mal. Ein Foto reicht da nicht, Teuber hat deshalb auch noch einen Filmemacher auf die Tour mitgenommen. Er ist eben keiner, der sich mit seinen Erfolgen versteckt oder bescheiden wartet, bis man ihn fragt. Der Odelzhausener macht gern von sich reden, liebt es, im Rampenlicht zu stehen. "Ich habe ja auch eine Botschaft", erklärt er. "Inklusion ist mir ein Anliegen. Das will ich vorleben. Deshalb bin ich mit einer normalen Bergsteigergruppe mitgelaufen." Damit die Botschaft auch ankommt, hat er bereits beim ZDF und Sat 1 seinen Film präsentiert. "Noch ist nichts unter Dach und Fach", aber Teuber hofft darauf, dass seine Reportage im Fernsehen gezeigt wird.

Für ihn war es mit 13 Stunden reine Gehzeit "die härteste und gefährlichste Tour meines Lebens". Ohne die Seilschaft hätte er es nicht geschafft, das ist dem Leistungssportler klar. Künftig will Teuber lieber bescheidenere Ziele suchen. "Im Herbst vielleicht ein 3000er", sagt er. Den "Chimbo" zu übertreffen, da sieht er keine Möglichkeit. Wer glaubt, Teuber würde nun ausruhen und seinen Erfolg genießen, der irrt: Am Samstag fliegt er ins Trainingslager nach Gran Canaria. Die Weltmeisterschaft in Südafrika winkt und der Radsportler will konkurrenzfähig sein. "Ich bin eben Sportler aus Leidenschaft."

© SZ vom 15.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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