Niemand hat was gegen Obdachlose, aber nicht vor der Hautür:Aufruhr in Kollbach

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Der Petershausener Rathauschef Marcel Fath (FW) und Experten klären auf einer Veranstaltung über die Ursachen von Obdachlosigkeit auf und appellieren an die Hilfsbereitschaft. Aber 184 Nachbarn stellen einen Bürgerantrag gegen die geplanten zwei Wohncontainer - und die CSU mischt kräftig mit

Von Petra Schafflik, Petershausen

Der Konflikt um die Unterbringung von obdachlosen Bürgern in Petershausen verschärft sich: Zwar warb Bürgermeister Marcel Fath (Freie Wähler) bei einem "Themenabend" in der dicht besetzten Schulaula intensiv um Verständnis und Unterstützung. Zudem erläuterten in zweistündiger Debatte Experten viele Fakten und Hintergründe zur steigenden Obdachlosigkeit in der Region. Doch die Bürger aus Kollbach bleiben dabei: Sie wollen verhindern, dass in dem kleinen Ortsteil zwei Wohncontainer aufgestellt werden. Ihrer Forderung haben sie nun mit einem formellen Bürgerantrag Nachdruck verliehen. Die provisorischen Notunterkünfte sollen in Petershausen selbst, nicht aber in kleinen Dörfern ohne Infrastruktur stehen - das verlangen per Unterschrift 187 Bürger. Die CSU-Gemeinderäte Josef Gerer, Albert Kirmair und Hilde Weßner haben den Antrag eingereicht. "Nicht als CSU-Antrag, sondern ausdrücklich auf Bitten der Kollbacher als Bürgerantrag", wie Gerer betont.

Wie überall in der Region gibt es in Petershausen mehr und mehr Bürger, die plötzlich ohne Obdach dastehen. Trennung, Krankheit oder massive Mieterhöhungen führen dazu, dass Menschen ihr Heim verlieren. Weil der soziale Wohnungsbau vernachlässigt wurde, fehlen Kapazitäten. "Wohnungsnot ist kein Problem von Randgruppen, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen", betonte Jörn Scheuermann von der Arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe denn auch. Ein Statement, das Irmgard Wirthmüller von der Caritas nur bestätigen konnte. Wie Wirthmüller war auch Hebertshausens Bürgermeister Richard Reischl (CSU) als Zuhörer gekommen, um sich zu informieren. "Denn es werden immer mehr Betroffene, die Situation schwieriger." Für Petershausen gibt es konkrete Zahlen: "Lange Zeit waren es ein oder zwei Bürger ohne Obdach im Jahr, 2016 haben sich 16 Betroffene gemeldet", so Bürgermeister Fath.

Deren Unterbringung sei Pflichtaufgabe der Gemeinde, aber die Möglichkeiten seien begrenzt, eine Krisensitzung jagte im vorigen Jahr die andere. Aktuell verfügt das Gemeindehaus in Petershausen über Räume für fünf alleinstehende Personen, drei sind belegt. Vergeblich, das berichtet der Zweite Bürgermeister Wolfgang Stadler (SPD), habe er wochenlang Eigentümer leer stehender Wohnungen oder Häuser angesprochen, Unterstützung bei notwendigen Renovierungen angeboten - "Ergebnis Null". Das einzige Baugrundstück in Gemeindehand in Petershausen will der Gemeinderat ausdrücklich als Spielplatz erhalten. Im Gewerbegebiet, wie es die CSU vorschlägt, ist Wohnen nun mal nicht erlaubt, betont Fath. Deshalb wurde ein Haus in Kollbach zur Unterbringung von Obdachlosen angekauft. "Das hat der Rat einstimmig entschieden", erinnerte Fath. Dort lebt nun eine kleine Familie. Um aber gerüstet zu sein für neue Notfälle, will der Rathauschef dort im Garten zwei Wohncontainer aufstellen. Befristet bis 2020, dann wird mit der Schulerweiterung im Gemeindehaus mehr Platz frei. Die Alternative, für akute Notfälle Pensionszimmer anzumieten, gebe es nicht. "Weil mir im Umkreis niemand ein Zimmer vermietet." Leider habe der Gemeindebauhof in Kollbach dann vor zwei Wochen Eternitplatten ohne Vorsorgemaßnahmen abgebrochen - "ein Fehler", räumte der Bürgermeister ein. "Aber das hat doch mit dem Thema Obdachlosigkeit nichts zu tun."

Doch die Anwohner wollen keine Wohncontainer in Kollbach. "Es gibt keinerlei Infrastruktur", schimpft einer. Die kleine Familie dort komme nur zurecht, weil sich Nachbarn kümmerten und Fahrdienste übernähmen. Tatsächlich bemüht sich die zuständige Rathausmitarbeiterin Regina aber intensiv um alle obdachlosen Bürger, wie sie betont. "Wir geben wirklich alles, aber manche möchten keine Hilfe." Die Bürger sehen es anders: Wo in den Ortsteilen Einkaufsmöglichkeiten und Nahverkehr fehlten, gingen Probleme Obdachloser zu Lasten der Bürger in der Nachbarschaft. Deshalb müssten Unterkünfte in den Hauptort, so der Bürgerantrag. In der Diskussion wurden weitere Vorbehalte deutlich: Alkoholiker gehörten nicht in ein Wohngebiet mit Kindern, schimpfte ein Nachbar. Ein Vorurteil, gegen das sich Scholtyssek ausdrücklich verwahrt. Alle obdachlosen Bürger im Gemeindehaus arbeiteten Vollzeit und hätten definitiv kein Suchtproblem. "Diese Männer nehme ich in Schutz."

Zu wenig Information und mangelnde Kommunikation sieht CSU-Gemeinderätin Hilde Weßner als Konfliktursache. "Die Bürger wurden vor vollendete Tatsachen gestellt". Eine Pauschalkritik, mit der er seit drei Jahren konfrontiert sei, entgegnete der Rathauschef. Egal ob Bericht im Ortsblatt, Diskussion im Gemeinderat oder persönliches Gespräch vor Ort - "nie ist es genug Information." Allerdings regt sich nicht nur in Petershausen gegen Obdachlosenunterkünfte Widerspruch: "Jeder sagt, ich hab nichts gegen Obdachlose, aber ich mag sie nicht in meiner Nachbarschaft", weiß Evelyn Alteneder, die in Karlsfeld Obdachlose betreut. Aber in Petershausen gab es laut und deutlich auch andere Stimmen: SPD-Gemeinderat Stadler sieht obdachlose Bürger durch den massive Ablehnung als gebrandmarkt an. "Jeder hat Nachbarn, aber hier werden Feindbilder aufgebaut". Dörfer wie Kollbach und Asbach gehörten doch zu Petershausen, "wir sitzen alle in einem Boot", warb ein Bürger. FW-Sprecherin Andrea Stang forderte, "nicht auf Obdachlose herabzuschauen, sondern sie zu integrieren". "Das sind Menschen wie wir, da sollten wir jeden aufnehmen", sagte ein Bürger unter lautem Applaus.

Experte Jörn Scheuermann war angereist, um über den konkreten Konflikt hinaus zu informieren. Er warb für eine umfassende soziale Betreuung von Menschen ohne Obdach. Als Unterstützung für das zuständige Landratsamt könnte über Fördermittel eine Fachkraft finanziert werden, die im Vorfeld hilft, Obdachlosigkeit zu vermeiden. Eine Idee, welche die Bürgermeister des Landkreises schon verworfen haben. Doch der Kreistag könnte das Thema noch einmal aufgreifen. Betont wurde die Notwendigkeit, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Auch Petershausen will ein Projekt umsetzen. Doch die Anwohner in Kollbach interessiert einzig die Situation vor ihrer Haustür. Genau deshalb haben sie auch den Bürgerantrag eingereicht. Den wird der Gemeinderat am kommenden Donnerstag wohl als zulässig akzeptieren, kündigte Bürgermeister Fath an. Inhaltlich wird das Gremium den Antrag nach der Sommerpause diskutieren.

© SZ vom 25.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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