Neue Galerie:Die Wirklichkeit in ihren Einzelteilen

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Was den Zeichner und Bildhauer Christian Jasper und den Maler Jochen Pankrath verbindet, ist ihr Humor. Ihre gemeinsame Ausstellung "Tête-à-Tête" ist das Resultat eines intensiven Dialogs: Malerei und Skulptur verbinden sich zu einem Gesamtkunstwerk

Von Gregor Schiegl, Dachau

Es ist eine Menge Holz, die Christian Jasper für diese Ausstellung zusammengezimmert hat. Bis unter die Decke stapeln sich die Holzkisten: große, kleine, schmale, lange, würfelförmige, alle sind versehen mit den typischen Piktogrammen von Umzugskartons: Achtung, zerbrechlich! Inhalt darf nicht nass werden! Hier ist oben! Dazwischen Beschriftungen, die auf den möglichen Inhalt verweisen: "Figur mit blauer Mütze", "Warten auf den richtigen Augenblick", "Freak 1". Und all das ist so geschickt zusammengefügt, dass es sich exakt in die Räume und Türdurchbrüche der Neuen Galerie Dachau einfügt. Jasper hat seine Installationen "maßgeschneidert" für die Ausstellung in Dachau. Im Scherz hat jemand zu ihm gesagt, das sei wohl so etwas wie "Tetris für Erwachsene". Tetris, das war dieses kleine Computerspiel, bei dem man herunterfallende Förmchen passgenau aufeinandersetzen musste, damit sie sich auflösen.

Mehr als ein Jahr lang haben Christian Jasper und Jochen Pankrath an ihrem raumfüllenden, maßgeschneiderten Gesamtkunstwerk für die Neue Galerie Dachau getüftelt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Natürlich geht es in dieser Ausstellung mitnichten um Stapelkunst, die Ausstellung ist auch nicht das Werk eines talentierten Solisten aus der Logistikbranche, sie ist dass Gemeinschaftsprodukt zweier Künstler. Jasper ist Zeichner und Bildhauer und 52 Jahre alt. Er lebt in München. Eines seiner Werke war auch schon mal in der Neuen Galerie zu sehen; Jochen Pankrath ist Maler und 38. Er ist in Franken daheim, und wer weiß, ob dieses "Tête-à-Tête" - das ist auch der Titel der Ausstellung - ohne die Kunsthistorikerin Jutta Mannes zustande gekommen wäre. Sie hat die beiden Künstler miteinander bekannt gemacht. Jetzt sind sie so etwas wie Künstlerfreunde. "Es geht nur mit dem Gefühl, dass man beim anderen gut aufgehoben ist", erläutert Christian Jasper. So erledigt sich die Frage nach der Originalität. "Von wem die Idee jeweils kam, ist eigentlich unerheblich", sagt Jasper. "Man integriert seine eigenen Gesetze in die Kooperation - diese können sich aber auch ändern. Sie werden immer wieder neu verhandelt. Das ist ja das Spannende."

Vom ersten Treffen bis zur Vernissage sind nicht mehr als 14 Monate vergangen. Jasper ist selber verblüfft, wie viel sie mit vereinten Kräften in dieser Zeit geschafft haben. Rund 30 Arbeiten sind entstanden, von denen aus Platzgründen ein Drittel gar nicht gezeigt werden kann. Oder besser gesagt noch nicht. "Wir haben genug Material für eine weitere Ausstellung."

Gut verpackt haben die Künstler die Wirklichkeit, wie schon ein Blick aus dem kunstvoll verschalten Fenster zeigt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Was die beiden verbindet, ist ein feiner Humor, die Ausstellung ist Resultat eines intensiven Dialogs, in dem sie die Wirklichkeit in ihre Bestandteile zerlegen, sie neu zusammennageln, -kleben und bemalen - Jasper vornehmlich als Bildhauer, Pankrath als Maler. Das sieht dann etwa so aus: Aus der Wand der Galerie ragen zwei Gipsarme aus dem Fundus von Christian Jasper. Sie halten ein auf Glas gemaltes Bild von Jochen Pankrath, auf dem ein Gesicht zu sehen ist - gerade so, als würde ein noch in der Wand steckender Mensch sein Gesicht im Spiegel betrachten. Malerei und Skulptur verbinden sich zu einem Gesamtkunstwerk, das den Besucher erstaunt, amüsiert und verblüfft.

Maler Jochen Pankrath arbeitet an sich selbst. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Auf einem Unterleibstorso drehen sich wie auf einer dreieckigen Werbetafel Bilder, die vor Bedeutungsschwere dröhnen: ein unvollständiger Arm beim Malen, ein Kartenhaus, das auf einer einzigen Kante balanciert und ein Totenschädel. Das sind Motive, die man aus der Bildsprache des Barock kennt. Vergänglichkeit, Vanitas, Staub zu Staub. Nur dass man bei näherem Hinsehen erkennt: Der gemalte Totenschädel ist nur ein Modell, er hat eine Fuge und ein Scharnier, damit man hineinschauen kann zu Lehrzwecken. Erwartungen wecken und dann wieder brechen, das machen sie gerne. "Man muss das Thema gegen den Strich bürsten", sagt Jasper.

Schon am Eingang sieht man das Gemälde einer properen rotbäckigen Madonna, die statt des Jesuskinds ein Holzhaus im Arm hält, "Keine Heilige", sagt der Titel. Doch wie Jesus der Ausgangspunkt der christlichen Heilsgeschichte ist, so ist das Holzhaus Ausgangspunkt dieser ungewöhnlichen künstlerischen Kooperation. In einem ersten Schritt hatte Jasper ein Modell der Alten Brennerei gebaut, in der der Kunstverein Ebersberg seine Ausstellungen abhält. Jasper machte die Hülle zum Nukleus der Tête-à-Tête-Ausstellung. Pankrath führte das Paradoxon fort, indem er ein kleines Gemälde in diesen Ausstellungsraum stellte, das eine blauen Himmel zeigt: Innen ist außen, außen ist innen. Was ist Bild, was ist Realität? Das sind spannende und auch wichtige Fragen in einer Zeit, in der virtuelle Welten und künstlich generierte Deep Fakes die Grenzen zwischen Sein und Schein mehr und mehr verwischen. So weiß man auch nicht so genau, ob die holzförmige Konstruktion hinter dem Holzpult am Eingang ein klobiger Stuhl ist oder nur das stuhlförmige Behältnis für eben so eine Sitzgelegenheit. Im Grunde befindet sich auch der Besucher selbst in einer Kiste, beziehungsweise einem riesigen Schutzraum. Die Fenster der Galerie sind mit Holzpaneelen verbarrikadiert, nur durch Cutouts, die Piktogramme von Umzugskisten nachbilden, fällt Licht von draußen.

Überall findet der Besucher Querverweise und auch explizite Fingerzeige. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Auf einem Bild von Pankrath sieht man ein Mädchen mit Männerkopf auf dem Schoß. Das Bild heißt "Salome", allerdings ist der Kopf nicht das abgeschlagene Haupt von Johannes dem Täufer, sondern nur ein Gipsschädel - ein Artefakt. Immer wieder finden sich Querverweise, kunsthistorische Anspielungen, versteckte Referenzen zu anderen Werken und Titeln. Die Künstler spielen mit Realität und Illusion, assoziativ und doppelbödig. Es ist ein lustvolles Sichverlieren, Wiederfinden und Neuentdecken. Selten erlebt man eine Ausstellung, die so raffiniert und vielschichtig ist und zugleich so viel Spaß macht.

te-à-Tête. Christian Jasper und Jochen Pankrath im Dialog. Neue Galerie Dachau, Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag sowie feiertags 13 bis 17 Uhr. Die Ausstellung geht noch bis zum 22. März 2020.

© SZ vom 07.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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