Netzwerk:"Wohnen ist die zentrale Frage"

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Engagierte Bürger wollen die Lebenssituation bedürftiger Menschen verbessern

Von Petra Schafflik, Dachau

Sie rackern sich ab in zwei oder drei Jobs, aber das Einkommen reicht kaum zum Überleben. Sie kämpfen mit einer chronischen Erkrankung, doch für hilfreiche Therapien fehlt das Geld. Sie haben ein Leben lang gearbeitet, nun im Alter ist ein Cafébesuch mit der alten Schulfreundin finanziell jedoch nicht drin. Armut hat viele Gesichter. Und gerade im wohlhabenden Landkreis Dachau fühlen sich Menschen mit geringen finanziellen Möglichkeiten besonders stark ausgegrenzt. Das belegen Daten und Fakten im zweiten Armutsbericht für den Landkreis, der im April veröffentlicht wurde.

Doch es gibt engagierte Bürger, die sich mit dieser Ungleichheit nicht abfinden wollen. Auf Einladung der Dachauer Wohlfahrtsverbände kamen jetzt 70 Männer und Frauen ins Adolf-Hölzel-Haus, um ein "Netzwerk zur Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit geringen finanzielle Ressourcen" zu gründen. Die Teilnehmer, darunter Vertreter von Wohlfahrtsverbänden und Vereinen, Kommunalpolitiker, Unternehmer und engagierte Dachauer wollen in sechs Arbeitsgruppen konkrete Unterstützung entwickeln. Das Ziel: "Armut sichtbar machen und dafür sorgen, dass Hilfen zielgerichtet ankommen", erklärte Landrat Stefan Löwl (CSU) als Schirmherr der Veranstaltung. Erste Ideen entstanden schon bei dem Treffen, im November 2019 sollen konkrete Konzepte präsentiert werden.

Der Armut begegnen die Fachleute von Caritas, Arbeiterwohlfahrt, Bayerischem Roten Kreuz und Paritätischem Wohlfahrtsverband im Landkreis bei ihrer Arbeit täglich. Nun aber möchten sie das Thema umfassender angehen, ein Netzwerk knüpfen, das über ihre Fachverbände hinausgeht. Ziel ist, "gemeinsam im Landkreis selbst das Heft in die Hand zu nehmen, nicht auf politische Reformen anderswo zu warten", erklärte Egon Endres, Sozialwissenschaftler und Netzwerkforscher, der die Veranstaltung als Moderator begleitete. Umgehend machten sich die Teilnehmer dann ans Werk, diskutierten an sechs Thementischen zu Armut und Arbeit, Wohnen, Alter, Gesundheit, Bildung und Familien, Kinder, Jugendliche. Vorab schon stellte Heidi Schaitl, Geschäftsführerin der Caritas und Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände, klar: "Wohnen ist die zentrale Frage der Armutsbekämpfung." Doch an den Stichpunkten, die nach einer Stunde das Flipchart dieser Arbeitsgruppe zierten, lässt sich die Komplexität gerade dieses Kernproblems herauslesen, das rasche Lösungen einfach nicht zulässt. Zumal sich Wohnungsbau wirtschaftlich derzeit in der Region nicht lohne, wie ein Teilnehmer erklärte. "Ein Bürohaus in Prag ist attraktiver als ein Wohnkomplex in München." Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD), der wie Landrat Löwl die Diskussionsrunden verfolgte, bemerkte am Rande der Wohnen-Runde, nur eine gezielte Strukturpolitik, die Unternehmen zur Ansiedlung außerhalb der Boomregionen motiviere, könne Abhilfe schaffen gegen die Wohnungsnot. Die Arbeitsgruppe will den Leerstand im Landkreis genauer in den Blick nehmen. Besonders viele Teilnehmer diskutierten über Armut im Alter. Ein schwieriges Feld, denn Senioren haben eine enorme Hemmschwelle, nach Hilfe zu fragen oder auch nur ein Angebot anzunehmen, erklärte Ute Hönle, die das Sozialbüro der Gemeinde Bergkirchen leitet. Also gelte es, Informationen noch zielgruppengerechter aufzubereiten, möglichst persönlich an die Betroffenen heranzutragen. Bessere, knappere, einfachere Informationen - dieses Stichwort greifen auch andere Arbeitsgruppen auf. So sollen gezielte Schulungen für Schulleiter und Elternbeiräte helfen, dass arme Familien häufiger die ihnen zustehenden staatlichen Unterstützungsleistungen beantragen, erklärte Wiebke Kappaun, Geschäftsführerin der Arbeiterwohlfahrt. Und eine Jugendkarte für den Landkreis könnte jungen Leuten Zugang zu preiswerten Freizeitangeboten ermöglichen. Intensivere Beratung in der Gründungsphase könnte dazu beitragen, dass Selbständige realistisch planen, nicht von hohen Steuernachforderungen überrascht werden, so ein Ergebnis im Arbeitskreis Arbeit. Auch einen Pool von Unternehmen möchte man aufbauen, die gezielt Langzeitarbeitslosen eine Job-Chance geben wollen. Alle Ideen sind nur erste Ansatzpunkte, bereits im Januar treffen sich die Arbeitsgruppen erneut.

© SZ vom 16.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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