Namika auf dem Dachauer Rathausplatz:Nur ein kleiner Schnitt

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Rapper machen gerne einen auf dicke Hose. Namika traut sich mehr. Sie legt in ihren Songs sehr persönliche Gefühle und Geschichten offen. (Foto: Toni Heigl)

Bei Namikas Aufritt in Dachau dürfen ihre großen Hits nicht fehlen. Doch am meisten berührt das Publikum ein anderes Lied

Von Anna-Elisa Jakob, Dachau

Bis zum Schluss hat sie gewartet, um die beiden Lieder zu spielen, die alle hier im Publikum kennen. Namika beendet ihr Konzert auf dem Dachauer Rathausplatz mit "Lieblingsmensch". Mit dieser Single landete sie 2015 auf Platz eins der deutschen Charts - und sie singt "Je ne parle pas français", ihren Radio-Hit aus dem vergangenen Jahr. Letzteren bringt sie sogar zweimal, einmal kurz darauf noch mal als Zugabe. Das Publikum scheint das nicht zu stören - ganz im Gegenteil: Es verabschiedet die in Frankfurt aufgewachsene Sängerin mit großem Applaus. Eigentlich hätte das Publikum gerne noch eine Zugabe nach der Zugabe gehört.

Der Auftritt am Sonntagabend ist das erste Rathauskonzert des diesjährigen "Dachauer Musiksommers". Etwa 1200 Menschen stehen an vor der Bühne - und einige weitere hinter der Absperrung; ausverkauft ist das Konzert jedoch nicht. Kulturamtsleiter Tobias Schneider hält bereits vorsorglich eine Kiste mit roten Capes zum Schutz vor dem angesagten Regen in der Hand. Der bleibt während des Konzerts aus - tatsächlich fallen die ersten leichten Tropfen zeitgleich mit den letzten Takten.

Bevor Namika die Bühne betritt, gelingt es der Vorband Parallel, die Stimmung im Publikum bereits aufzulockern. Mit Textzeilen wie "Konfetti für uns zwei" oder "Lass das Leben bunt sein", verpackt in fröhlich-leichtem Deutsch-Pop, bereiten die zwei Musiker aus Stuttgart auf den kommenden Auftritt vor. Zwischendrin mixen sie ein paar Cover-Versionen - von den Backstreet Boys über Ed Sheeran bis Costa Cordalis - und animieren das Dachauer Publikum zum Mitklatschen und Mitsingen.

Namika eröffnet ihre Show hingegen nicht mit leichter Gute-Laune-Musik, sondern mit entspanntem Rap. Mit Jeans-Jacke, weißen Sneakern und hohem Pferdeschwanz springt sie lässig von einem Bein auf das andere, stets im Zentrum der Bühne. Pausen zwischen ihren Songs macht sie kaum, gerade zum Auftakt spielt sie ein Lied nach dem anderen. Schnell, durchdringend, kraftvoll.

Der Großteil der Songs stammt von ihrem neuen Album "Que Walou", das im vergangenen Jahr erschienen ist. Zwischendrin bindet sie auch Lieder ihres ersten Albums "Nador" ein, benannt nach der Stadt in Marokko, aus der ihre Großeltern stammen. Sowieso geht es in der Musik der 27-Jährigen viel um ihre persönlichen Wurzeln, um "ihre innere Zerrissenheit" und der "Suche nach sich selbst", wie sie zwischen den einzelnen Liedern erklärt. Viel erklärt sie dennoch nicht, möchte eher die Texte sprechen lassen. Außer vor "Ahmed (1960-2002)": Der Text handelt von ihrem Vater, den sie selbst nur als kleines Kind kennengelernt hat. Der Vater verschwand plötzlich. Später fand ihre Familie heraus, dass er nach Nador abgeschoben wurde, um dort eine Haftstrafe abzusitzen. Einige Jahre danach habe er versucht, sie kidnappen zu lassen, erzählt Namika. Sie singt: "Als er starb, war's für mich gar kein großer Schnitt. / Ich war zu jung und er schon immer tot für mich."

Nach diesem Song wird die Bühne kurz schwarz. Es ist vielleicht der Moment des Abends, an dem Namika es schafft, das Publikum wirklich tief zu berühren und emotional zu überraschen. Sowieso transportiert sie ihre Gefühle dann besonders gut, wenn sie den Stil verwendet, mit dem sie sich selbst am liebsten betitelt: Hip Hop. Zwischendurch dann deutliche Worte, verpackt in explizitem Rap. Vielleicht stellt sie auch deswegen ihre beiden größten Hits an das Ende ihrer Show: Weil das Publikum genau das erwartet hat, weil einige auf dem Dachauer Rathausplatz sie vielleicht nur aufgrund dieser beiden Hits kennen. Bestimmt nicht die Fans, die in erster Reihe ein Banner mit der Aufschrift "Wir lieben Namika" hochhalten, aber vielleicht die etwa 300 Gäste, die sich spontan an der Abendkasse noch ein Ticket gekauft haben. Das Erwartbare hat das Publikum am Ende zu hören bekommen, doch zuvor ist die Sängerin ganz bei sich und singt, was sie bewegt. Und das Publikum hört zu.

© SZ vom 11.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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