Nachwuchstalent im Radrennsport:Auf dem Weg nach oben

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Johannes Schinnagel ist eines der größten Nachwuchstalente im bayerischen Radrennsport. In Dachau hat er seine Karriere begonnen, jetzt will er Profisportler werden, deshalb trainiert er nicht mehr nur bei Forice 89

Von Felix Wendler, Dachau

Es ist die absolute Ausnahme: Seit Tagen hat er schon nicht mehr auf dem Sattel seines Rennrads gesessen. Statt dessen kommt Johannes Schinnagel nun mit dem Auto zum Fitnessstudio. Schuld ist ein Trainingsunfall im weitesten Sinn. Der 21-Jährige ist bayerischer Straßenmeister im Radrennen. Doch beim Verladen der Ausrüstung ist er von der Ladefläche des Teambusses gerutscht. Dabei hat er sich den Ellbogen angebrochen. Aber die Zwangspause passt dem ambitionierten Radler, der für den Dachauer Verein Forice 89 fährt, gar nicht recht.

Er ist im Sportoutfit gekommen. Allein über sein beachtliches Trainingsprogramm zu reden, das reicht ihm nicht. Er steigt schnell auf das Ergometer und dreht ein paar leichte Aufwärmrunden - nur zur Demonstration natürlich. Der Unterschied zu den Freizeitsportlern wird sofort deutlich. Die Haltung ist ganz anders: locker, routiniert und doch gespannt. Das Studio kennt Schinnagel wie seine Westentasche. Training ist für den Gröbenzeller Alltag, der Sport sein Lebensmittelpunkt. An sechs Tagen die Woche trainiert der hoch aufgeschossene Rennradler in der Wintersaison. Oft zwei bis drei mal täglich. Die Einheiten im Fitnessstudio sind dabei noch der kleinere Teil des Trainingsprogramms. Pro Jahr legt er etwa 25 000 Kilometer auf dem Asphalt im In- und Ausland zurück. 50 bis 60 Wettkampftage absolviert er während der Saison - zwischen Februar und Oktober.

Routiniert, locker, aber mit viel Körperspannung zeigt der Bayerische Straßenmeister im Radrennen, wie er sich im Fitnessstudio für die kommende Saison fit macht. Dabei müsste er eigentlich eine Verletzungspause machen. (Foto: Niels P. Joergensen)

Schinnagels Heimatverein ist nach wie vor Forice 89. Internationale Ambitionen hat sein Dachauer Team allerdings nicht. Für große Wettbewerbe braucht es Sponsoren und ein starkes Umfeld, um konkurrenzfähig zu sein. Mit Dachau verbindet Schinnagel deshalb in erster Linie den Auftakt seiner Karriere. Vor zehn Jahren begann er hier, zuvor war er auf dem Mountainbike unterwegs. Jetzt hat ihn die Stadt Dachau auch für seine großen Erfolge bei den Radrennen geehrt. Eine ganz besondere Auszeichnung.

Bei europäischen Rundfahrten fährt Schinnagel seit einigen Jahren für österreichische Teams - bis vor kurzem für das Team Felbermayr Wels, ab der nächsten Saison für das Tirol Cycling Team. Ihre zahlreichen Trainingslager halten die Mannschaften hauptsächlich in Italien und Spanien ab, wo ganzjährig gute Wetterbedingungen herrschen. Am Gardasee besitzt sein Team sogar eine eigene Wohnung. Die Weltmeisterschaft 2018 findet in Innsbruck statt - quasi ein Heimspiel für Schinnagel und seine neuen Teamkameraden.

Bergtraining: Um bei europäischen Rundfahrten mitmachen zu können, fährt Schinnagel seit einigen Jahren für österreichische Teams. Ab der nächsten Saison wird er für das Tirol Cycling Team an den Start gehen. (Foto: Privat)

Hunderte Kilometer durch die Hitze, die Berge hinauf und hinab. Die Bilder der Tour de France betrachten Zuschauer für gewöhnlich mit einer Mischung aus Respekt und Mitleid. Das wichtigste Rennen des Radsports ist Schinnagel zwar noch nicht gefahren, dafür aber die U23-Version der Tour de France.

Und wie fühlt es sich für die Fahrer nun an, stundenlang auf dem Rad zu sitzen? Schinnagel überlegt kurz. "Die U23-Rennen sind oft sehr hektisch, dafür braucht es extrem viel Konzentration. Da bleibt nicht viel Zeit zum Nachdenken." Bei ruhigeren Rennen unterhalte man sich aber durchaus auch mal mit den Teamkollegen. Schwierige Momente gibt es natürlich auch, erzählt er weiter. "Diese Phasen muss man überwinden."

Balance ist im Leben eines Sportlers ein wichtiger Aspekt - nicht nur auf dem wackligen Gummiball, mit dem Schinnagel im Studio seinen Gleichgewichtssinn demonstriert. Ohne Ausgleich geht es nicht. Ein reguläres Studium allerdings wäre mit dem Zeitaufwand für den Radsport nicht zu vereinbaren. Die Lösung ist ein Studiengang für Spitzensportler. Der 21-Jährige studiert Internationales Management, größtenteils als Fernstudium, mit etwa 15 Präsenztagen an der Hochschule Ansbach. Zehn Semester dauert das Studium - deutlich länger als ein normaler Bachelor-Studiengang. Prüfungsphasen und Seminare sind weniger dicht gedrängt, damit genug Zeit für Training und Wettkämpfe bleibt. Schinnagel möchte das Studium nicht mehr missen. Man werde lockerer dadurch, auch bei den Wettkämpfen, sagt er. Außerdem ist es ihm wichtig, einen Plan B für die Zukunft zu haben.

Schinnagel steht an einem Punkt, den viele Sportler irgendwann erreichen. In den nächsten Jahren wird sich entscheiden, ob er sein Hobby zum Beruf machen kann. Etwas Zeit hat er allerdings noch. Zwischen 25 und 30 Jahren erreicht man das beste Radfahreralter, erzählt er. "Eine Top-10-Platzierung bei der Weltmeisterschaft wäre ein Sprungbrett." Darauf hofft er. Wer den Ehrgeiz in seiner Stimme hört, würde sich nicht wundern, ihn in naher Zukunft auf dem Weg nach oben zu sehen. Vielleicht wieder in den französischen Bergen - dann aber Seite an Seite mit den ganz großen Namen des Radsports.

© SZ vom 03.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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