Nach Mesut Özils Rücktritt:Platzverweis

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Im Fußball sollte nicht Herkunft, sondern Leistung zählen. Doch die Debatte über Mesut Özil zeichnet ein anderes Bild. Manche türkische Spieler und Trainer im Landkreis verstehen den Starkicker gut, andere halten seinen Rassismus-Vorwurf jedoch für überzogen

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Dalay Kökner hat geschafft, was vor ihm schon Arsène Wenger geschafft hat: Der 29-Jährige hat die Fußballmannschaft der SpVgg Röhrmoos in der vergangenen Saison zum Meistertitel gecoacht und dabei kein einziges Spiel verloren. Wie die Trainer-Legende Wenger im Jahr 2004, der mit dem FC Arsenal London eine ganze Spielzeit ungeschlagen blieb. Na gut, die A-Klasse ist nicht die Premier League und Röhrmoos nicht London, wo der deutsche ehemalige Nationalspieler Mesut Özil lebt und arbeitet. Doch in diesen Tagen verschwimmen im Fußball die Grenzen zwischen Profis und Amateuren - hier wie dort ist Rassismus plötzlich ein Thema in einem Sport, in dem eigentlich nicht die Herkunft, sondern nur die Leistung auf dem Platz zählt.

Mesut Özil hat mit seinem Rückzug aus der Fußballnationalmannschaft eine Debatte über Rassismus in Deutschland ausgelöst. Die Diskussion schwappt auch über auf die Fußballplätze im Landkreis, wo sich die Amateurmannschaften der unteren Ligen auf die neue Saison vorbereiten. Unter Trainern und Fußballern mit türkischem Hintergrund gibt es kein einheitliches Meinungsbild. Die Einen finden, dass der Arsenal-Star mit seinem Rassismusvorwurf überzogen hat. Die Anderen können ihn verstehen. Einig ist man sich, dass ein Foto mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdoğan die ganze Aufregung der vergangenen Monate nicht rechtfertigt. Manche wie Dalay Kökner befürchten, dass sich der giftige Ton der Debatte jetzt auf den Fußballplätzen widerspiegeln könnte. Kökner sagt: "Die Zündschnur ist jetzt kürzer. Es fällt jetzt vielleicht öfter mal ein blöder Spruch auf dem Platz." Die Soziologin Hale Eren-Khaki, die im neu gegründeten Integrationsbeirates des Landkreises sitzt, sagt: "Ich hoffe nicht, dass sich deshalb die sportliche Leistung mit der Zugehörigkeit vermischt."

Kökner und seine Mannschaft sind in die Vorbereitung auf die neue Saison eingestiegen. Hin und wieder schneide jemand das Thema an, sagt der Coach. "Die Jungs kennen meine Meinung." Kökner findet, Özil hätte vor der WM zurücktreten sollen. Die Aufregung wegen des Erdoğan-Fotos sei einfach zu groß gewesen. "Selbst wenn Deutschland Weltmeister geworden wäre, wäre Özil der Buhmann gewesen." Kökner kann nachvollziehen, was in Özil vorgeht. Er verweist auf rassistische Äußerungen aus der Mitte der Gesellschaft, wie die des nordhessischen SPD-Politiker Bernd Holzhauer, der Özil und Gündoğan im Vorfeld der WM beleidigte, indem er den vorläufigen Kader so kommentierte: "25 Deutsche und zwei Ziegenficker." Oder Werner Steer, Chef des Deutschen Theaters in München, der Özil riet, sich "nach Anatolien zu verpissen". Kökner sagt: "Das ist Rassismus."

Doch dass Özil mit seinem Rassismus-Vorwurf gegen den DFB einen Punkt gemacht hat, ist umstritten, auch unter Deutschen mit türkischem Hintergrund. Sahin Yenisu, 44, ist hier geboren. Er leitet die Jugendabteilung des TSV Dachau. 340 Nachwuchsspieler sind beim TSV aktiv. Davon haben mehr als die Hälfte einen Migrationshintergrund, rund 40 Prozent einen türkischen. Für viele dürfte Mesut Özil ein Vorbild sein. Doch Yenisu glaubt nicht, dass wegen dessen Rücktritts einer seiner Spieler sagen wird: "Ich spiele jetzt keinen Fußball mehr." Das Thema werde bald wieder abebben.

Yenisu meint, dass Özils Wortwahl zwar unglücklich war, was den Vorwurf des Rassismus gegen den DFB angehe, habe er zu hoch gegriffen. Doch er findet, dass Özil von Medien ungerecht behandelt wurde. "Bei der WM 2014 war er der Held. Dass er die Hymne nicht mitsingt, war egal. Jetzt wird das plötzlich thematisiert." Yenisu sagt: "Wenn ich Kim Jong-Un am Flughafen treffe, würde ich mit ihm auch ein Selfie machen." Er sei kein Fan des türkischen Präsidenten. "Aber Putin ist keineswegs besser, und wir spielen eine ganze Weltmeisterschaft in Russland."

So ähnlich sieht das auch Emrah Seyrek, Trainer beim SV Türk Dachau: Egal, ob man Erdoğan-Anhänger sei oder nicht, das Foto sei eine Sache des Respekts gewesen. Gleichwohl habe sich sowohl Özil als auch der DFB im Nachhinein völlig falsch verhalten. Und jetzt gebe es eine Debatte, in der sich keiner mehr respektiere. Als Beispiel nennt Seyrek die Äußerung des FC Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß ("Özil hat seit Jahren einen Dreck gespielt"). "Solche Sprüche sollte man lassen", findet Seyrek. Er und seine Spieler kicken in der Kreisklasse. In der vergangenen Saison landete das Team auf dem zehnten Platz, drei Punkte hinter dem SV Lohhof, drei Punkte vor dem TSV Hilgertshausen. Klar müsse man sich bei Spielen immer mal wieder blöde Sprüche gefallen lassen. "Deppen gibt es immer." Doch Seyrek befürchtet nicht, wie er sagt, dass die hitzige Debatte das Klima auf den Fußballplätzen vergiften wird.

Dalay Kökner, der Meister-Trainer von Röhrmoos, ist etwas pessimistischer. Er glaubt, dass die Beleidigungen auf dem Platz, wo es oftmals heiß her geht, zunehmen könnten. "Bei kritischen Schiedsrichterentscheidungen zum Beispiel heißt es dann: Wenn es dir hier nicht passt, dann geht doch zurück, wo du herkommst." Auch Kökner erlebt Alltagsrassismus. Wegen seines Aussehens falle er auf, sagt er. Deshalb frage er sich manchmal, ob er wirklich in eine Wirtschaft gehen solle. "Die Blicke sind zumindest jedes Mal da." Doch er sehe das halb so wild, da er hier geboren sei. "Ich bin voll integriert." Was ihn schon mehr nervt, ist, dass ihn Leute ständig auf ein Thema ansprechen: "Als Türke muss man den Leuten seit gut einem Jahr immer klarmachen, was man von Erdoğan hält. Man muss sich dafür rechtfertigen. Dabei interessiert mich die Politik in der Türkei gar nicht."

Die Dachauerin Hale Eren ist gerade in der Türkei. Sie macht Urlaub. Am Telefon sagt sie, die Debatte beschäftige auch die Türkei sehr. Sie persönlich finde es schade, dass es soweit gekommen sei. "Özil hat jahrelang sein Bestes für die deutsche Nationalmannschaft gegeben." Doch das zähle nun offenbar nicht mehr.

© SZ vom 26.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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