Museumsforum Altomünster:Hinter der Fassade

Lesezeit: 2 min

Auch ein Kinderkaufladen ist Teil der Ausstellung über die Fünfzigerjahre im Landkreis Dachau. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Ausstellung über die Fünfzigerjahre zeigt, wie die Nazivergangenheit verdrängt worden ist

Von Dorothea Friedrich, Altomünster

Das Geschirr mit dem blauen Blumendekor auf dem Kaffeetisch stammt garantiert nicht aus einer aktuellen Designerkollektion, der Marmorkuchen sieht dagegen verlockend frisch gebacken aus. Aus der geöffneten Backofentür eines in die Jahre gekommenen Elektroherds lugt eine Backform mit Zwetschgennudeln. Der Nierentisch im Wohnzimmer ist blitzblank poliert, in der Kristallschale ist Knabbergebäck fein säuberlich drapiert. Hinter dem Sessel in der vor vielen, vielen Jahren aktuellen Farbkombination Orange-Braun (das waren tatsächlich mal die Markenfarben des Kaffeerösters Tchibo) steht eine farblich perfekt darauf abgestimmte Trockenhaube. Nein, wir befinden uns nicht in der Filmkulissse eines realen Fünfzigerjahre-Nostalgie-Drehs, sondern in der Realität des Museumsforums Altomünster.

Dort läuft derzeit die Ausstellung "Die 50er Jahre - Wirtschaftswunder und Verdrängung" der Geschichtswerkstatt im Landkreis Dachau. Seit 2018 ist die Ausstellung im Landkreis unterwegs. In Altomünster haben die rührigen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen des Museumsvereins die informativen Banner, das Grundgerüst der Schau, ordentlich aufgepeppt: Vom Mercedes-Cabrio, über einen Eicher-Bulldog, ein NSU-Motorrad, bunt getupfte Kleider, Kinderspielzeug und -bücher bis zu ganzen Wohnungseinrichtungen, mit Ratgebern, mit originalen museumsreifen Haushalts- und Medizinprodukten, einer echten Schulbank und vielen seinerzeit unverzichtbaren oder auch begehrten Einrichtungsgegenständen vom Radio bis zum echten Gummibaum.

"Wir wollten die Tafeln der Geschichtswerkstatt mit Leben füllen", sagte Karin Alzinger, zweite Vorsitzende des Museumsvereins bei der Ausstellungseröffnung am vergangenen Sonntag. Sie habe anfangs befürchtet, "dass wir die Ausstellungsräume nicht füllen könnten. Doch jeder, den wir gefragt haben, wusste noch jemanden, der noch was hatte, vom Wäschestampfer bis zum Bulldog".

Im Zusammenspiel mit den unübersehbaren Bannern ist daraus ein sehenswerter Einblick in eine Zeit geworden, die heute gerne verklärt wird. Die passende Musik, bei der weder La Paloma noch die Capri-Fischer fehlten, kam bei der Vernissage von Eva Kausch am Elektropiano, von Florian Ewald mit Klarinette und diversen Saxofonen - und nicht zuletzt vom singenden Museumsvereinsvorsitzenden Wilhelm Liebhart.

Gekommen waren nicht nur viele der fast 20 Leihgeber aus der Marktgemeinde und dem Umland, sondern auch Politiker, der CSU-Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath, Landrat Stefan Löwl sowie die Altomünsterer Bürgermeister Anton Kerle und Josef "Fips" Wiedmann. "Man hat nach vorne gesehen, hat die damaligen Herausforderungen gemeistert, sodass wir heute in einem der schönsten Landkreise leben", sagte Löwl. Für ihn sind die Fünfzigerjahre eine Basis "der Freiheit, in der wir heute leben".

Ähnlich sah das Seidenath: "Wir haben so lange schon Frieden, weil wir die Apokalypse erlebt haben. Das dürfen wir nicht vergessen, damit wir weiter eine friedliche Zukunft haben", sagte er. Anton Jais, Vorsitzender des Dachauer Forums, und Annegret Braun, Leiterin der Geschichtswerkstatt, zeigten eindrücklich, was lange Jahre hinter der Wirtschaftswunderfassade versteckt war und immer noch mühsam zu erforschen sei, wie Braun sagte: die verdrängte Vergangenheit mit zur Farce verkommenen Entnazifizierungsverfahren oder solchen, bei denen gelogen wurde, dass sich die Balken bogen. Dazu sagte Jais: "Im Dorf, wo jeder jeden kannte, war es schwierig, über dieses Thema zu reden. Diejenigen, die schuldig waren, konnten ihre Schuld verschweigen, ungeschehen konnten sie sie aber nicht machen."

Jais erinnerte auch an eine Herausforderung der Fünfzigerjahre, die seit 2015 sehr aktuell anmutet: Die Integration von 9,5 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen - "jeder vierte Deutsche war ein Fremder". Dazu sagte Braun: Flüchtlinge und Vertriebene hatten einen großen Anteil daran, dass die Wirtschaft diesen Aufschwung genommen hat". Weil die informativen Banner und die ausgestellten Objekte das berühmt-berüchtigte "große Ganze" auf sehr persönliche, individuelle Art vermitteln, lohnt es sich, mit wachen Augen durch diese sehenswerte Ausstellung zu gehen, auch wenn Kuchen und Käseigel nur bei der Eröffnung serviert wurden.

"Die 50er Jahre - Wirtschaftswunder und Verdrängung" - bis Sonntag, 20. Oktober 2019, im Museumsforum Altomünster. Geöffnet: donnerstags bis samstags von 13 bis 16 Uhr, sonntags von 13 bis 17 Uhr.

© SZ vom 02.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: