Mitten in Karlsfeld:Wettlauf mit Schafen

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Beim World-Run erfasst einige Tiere der Herdentrieb. Doch beim Marathon geht Mensch und Tier die Puste aus

Von Gregor Schiegl

Es gab Zeiten, da war der Sonntag öd und leer wie die Welt am ersten Tag. Außer einem Kirchbesuch gab es nicht viel zu tun. Das war, wenn man Moses Glauben schenken will, gottgewollt. "Sechs Tage sollst du deine Arbeit tun; aber des siebten Tages sollst du feiern, auf dass dein Ochs und Esel ruhen." Mit den Zwängen der Moderne ist das nur schwer vereinbar: Viehhaltung in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung ist bei den wenigsten Vermietern wohlgelitten. Diese räumliche Enge und eine gewisse Rastlosigkeit führen dazu, dass die Menschen am Sonntag heutzutage alles Mögliche tun, nur nicht ruhen. Zum Beispiel laufen sie. Einen perfekten Körper erschafft man nicht an einem Tag.

Herdentrieb und Leistungswille

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Nun begab es sich, dass in Karlsfeld auf der Schrederwiesen eine Schafherde mit etwa 600 Tieren in gottgefälliger Ruhe graste, als eine Kolonne von Sportskanonen vorbeigeschnauft kam. Es war Sonntag, der "World-Run München" lief, und das übrigens für einen guten Zweck. Die Sportler schwitzen für die Stiftung "Wings for Life", die die Rückenmarksforschung unterstützt. Bei so einer guten Sache wollten offenbar auch die sonst aufs Grasen und Haarewachsen beschränkten Schafe nicht abseits stehen. Also liefen sie einfach mit, wie die Dachauer Polizei berichtet. Und nicht nur die Schafe: "Mit dabei waren auch noch zwölf Ziegen, acht Esel und eine Kuh." Herdentrieb und Leistungswille reichten aber offenbar nicht aus, um das Rennen bis zum Schluss durchzuhalten. "Manche Tiere blieben vor Erschöpfung einfach stehen, als ihnen der Lauf zu lang wurde", schreibt die Polizei. "Eine Gefährdung für die Läufer oder die Tiere bestand zu keinem Zeitpunkt." Darüber sind wir sehr froh. Nur an der Birkenstraße wurden zwei geparkte Autos leicht verkratzt, was aber im Sinne der guten Sache zu verschmerzen sein sollte. Die Herde verteilte sich schließlich in mehreren Gruppen über Karlsfeld. Der Schäfer konnte alle seine Tiere wieder einfangen. Die vermutlich letzte Ziege wurde laut Polizei am Abend gegen 21 Uhr von Passanten überbracht. Wo genau sie aufgelesen wurde und was sie dort trieb, bleibt leider unerwähnt.

Das Schlusswort gebührt Friedrich Nietzsche, der in seinem Werk "Menschliches, Allzumenschliches" schon vor rund 140 Jahren beklagte, dass unsere Zivilisation aus Mangel an Ruhe in eine "neue Barbarei" auslaufe. "Es gehört deshalb zu den notwendigen Korrekturen, welche man am Charakter der Menschheit vornehmen muss, das beschauliche Element in großem Maße zu verstärken", analysierte er schaf-sinnig. Also am besten am Sonntag einfach mal gemütlich ins Gras legen. Und nichts tun.

© SZ vom 09.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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