Mitten in der S-Bahn:Söders blaues Pendler-Wunder

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Kaum fährt der Ministerpräsident mal S-Bahn, rauscht diese gleich ohne Halt von Laim nach Dachau durch. Das aber gefällt nicht jedem

Kolumne Von Thomas Radlmaier

Der Poet und Sänger Tobias Bamborschke hat für sein Buch "Mir platzt der Kotzkragen" ein Gedicht namens "S-Bahn" geschrieben und das geht so: "Leckt mich/ doch alle/ Am Arsch!/ Am Arsch!" Der Dichter lebt in Berlin und hat sich wohl von den Berliner Verkehrsbetrieben inspirieren lassen. Doch auch in München fluchen Menschen in der S-Bahn. Meistens morgens und abends, wenn sie zur Arbeit oder nach Hause wollen. Aber manchmal jubeln sie auch. Schließlich birgt das alltägliche Chaos auch positive Überraschungen.

Letztens saß der morgenmuffelige Autor dieser Zeilen in der S2 in Richtung Dachau. Als die S-Bahn am Bahnhof Laim hielt und andere Morgenmuffel zustiegen, sagte der Triebfahrzeugführer im bekannten monotonen Bahn-Sprech sinngemäß: Wegen vorherigen Verzögerungen im Betriebsablauf fährt diese S-Bahn ohne Halt bis Dachau Bahnhof durch. Die nächste S2, die überall hält, kommt in zwei Minuten.

Daraufhin flüchteten einige Menschen nach draußen. Andere, die offensichtlich nach Dachau wollten, konnten ihr Glück kaum fassen. Und man selbst versuchte, sich dieses Pendler-Wunder zu erklären. Man dachte an Markus Söder. Es war nämlich genau der Morgen und genau die Uhrzeit, als sich der Ministerpräsident und sein Verkehrsminister Hans Reichart höchstpersönlich unter das S-Bahn-Volk mischten und fotogen mit der S4 vom Ostbahnhof bis zum Marienplatz fuhren. Man war sich sicher, dass nur zwei Möglichkeiten infrage kommen konnten: Entweder Söder verzögerte den Betriebsablauf durch seinen Auftritt, oder aber er wollte allen Münchnern, die nach Dachau mussten, etwas Gutes tun, quasi als Wahlgeschenk. Denn wer, wenn nicht MP Söder, kann einen Triebfahrzeugführer anweisen, von Laim bis Dachau durchzufahren.

Doch leider hatten viele Menschen in der S-Bahn die Lautsprecher-Ansage offenbar überhört. Als die S-Bahn an Obermenzing vorbei zischte, hörte man sie wieder: Flüche. Die Frau, die gegenüber saß, grummelte bis Dachau etwas in einer slawischen Sprache. Ein junger Mann lief im Gang wütend auf und ab und raufte sich die Haare. Und mehrere Menschen fingen an, das Gedicht namens "S-Bahn" zu zitierten.

© SZ vom 08.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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