Mitten in Dachau:Weihnachtsfrieden im Internet

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Über die Corona-Politik kann man sich schnell in die Haare kriegen. Im "Dachauer Ratsch" hat man dagegen eine Lösung gefunden

Glosse von Jacqueline Lang

Wo sich die deutsche Bundesregierung sichtlich schwertut, macht das Administratoren-Team der Facebook-Gruppe "Dachauer Ratsch" Nägel mit Köpfen: Vom 24. Dezember bis 6. Januar sind zumindest in diesem Teil des Internets "kontroverse Diskussionen" untersagt. Die Admins nennen es einen "Gruppen-Weihnachtslockdown light". Das "light" bedeutet: Um die Pandemie darf es schon noch gehen, aber eben nur um Zahlen und Fakten, etwa wo man sich zwischen den Jahren impfen oder testen lassen kann. "Sobald aber während der befristeten Weihnachtszeit ein x-beliebiges Thema ausartet, wird der Beitrag verlangsamt oder ganz geschlossen", erklären die Administratoren. Themen, bei denen von vorneherein klar ist, dass es krachen wird, werden erst nach Dreikönig freigeschaltet.

Es ist bereits das zweite Mal in diesem Jahr, dass sich die Verwalter der Gruppe zu dieser Maßnahme gezwungen sehen. Wie so oft, kann man im Mikrokosmos "Dachauer Ratsch" so einiges darüber erfahren, wie es den Dachauerinnen und Dachauern so geht. Jetzt kurz vor dem Fest zum Beispiel. Um es gleich vorweg zu nehmen: offenbar nicht allzu gut.

Denn sucht man nach Gründen, die den Lockdown aus Sicht der Admins erforderlich gemacht haben, muss man nicht lange scrollen. Unter unzähligen Posts wird sich in den Kommentarspalten "beschwert, gestritten, reklamiert, gemeckert, räsoniert, gemotzt, gemosert, verharrt, kritisiert und genörgelt, was das Zeug hält". Fast immer geht es um die Pandemie, aber auch bei vergleichsweisen banalen Themen wie der "Verkehrssituation, Piercings bei Minderjährigen oder bei Hundekot" geraten die Menschen aneinander. Deshalb wolle man versuchen, "etwas Dampf aus dem ,Kessel'" zu lassen, schreiben die Administratoren. Ihnen gehe es dabei nicht darum, "lebendige Unterhaltungen, Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen" zu unterbinden. Aber: "Ohne gewisse Regeln und Gemeinschaftsstandards" funktioniere eben eine Diskussion nicht, Meinungsfreiheit sei "keine Einbahnstraße". Allerdings, und auch das ist wohl nicht ganz unwesentlich, um zu verstehen, warum der Weihnachtslockdown an Heiligabend in Kraft tritt: "Wir Admins sind alle voll geimpft und damit auch klare Impfbefürworter." Klar Position beziehen die Admins auch zu Themen wie Rassismus, Gewalt, Demokratiefeindlichkeit, Extremismus,und der "Verharmlosung der Pandemie". Und das ist vielleicht die einzig frohe Botschaft in all dem Irrsinn: Menschen, die sich im Netz nicht in Verschwörungsmythen verlieren und Hass propagieren, es gibt sie noch.

Stellt sich nur die Frage: Werden knapp zwei Wochen tatsächlich reichen, damit zumindest im "Dachauer Ratsch" wieder ein wenig Frieden einkehrt und falls ja, ließe sich das irgendwie auf den Rest der Welt übertragen? Dürfte man dem Christkind noch einen Last-Minute-Wunsch zuflüstern, wäre es wohl dieser. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!

© SZ vom 24.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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