Mitten in Dachau:Hoffen auf Sonne

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Die AfD stört sich an den Schriftzügen, die vorm Rathaus zu lesen sind. (Foto: N.P.JØRGENSEN)

Die AfD im Stadtrat stört sich an Schriftzügen, die am Boden vor dem Rathaus zu lesen sind. Die anderen Fraktionen sind genervt und reden über das Wetter

Glosse von Thomas Radlmaier

Der Autor und Regisseur Kim Frank hat Ende der Neunziger mit seiner Herzschmerz-Band Echt viele Mädchen (und sicher auch ein paar von den coolen Jungs, die damals mit den viel zu weiten "Fubu"-Hosen über den Pausenhof schlurften) zum Weinen gebracht - einfach weil die Musik und insbesondere die Song-Texte von Echt echt echt waren. Einer dieser Kuschel-Klassiker ist der Titel "Weinst du", dessen Text man einfach so als Abschiedsbrief an die Ex verschicken könnte: "Sag mal, weinst du oder ist das der Regen, der von deiner Nasenspitze tropft?" In einem Interview verriet der erwachsen gewordene Sänger Kim Frank vor Kurzem, dass er damals "voll von Teenage Angst" war.

Manchmal hat man den Eindruck, dass auch die AfD voll von existenzieller "Teenage Angst" sein muss. Sie ist noch eine sehr junge Partei. Die Gefühlsschleusenscheinen sich automatisch zu öffnen. Vor allem beim Thema Flüchtlingspolitik. In der Sitzung des Bau- und Planungsausschusses wies AfD-Stadtrat Markus Kellerer auf die Schriftzüge hin, die derzeit am Boden vor dem Rathaus zu sehen sind. Zu lesen ist unter anderem: "Menschen schützen, nicht Grenzen". Mitglieder des Runden Tisches gegen Rassismus haben sie bei einer Mahnwache für die Bewohner des griechischen Flüchtlingslagers Moria mit abwaschbarer Farbe auf den Boden gemalt. Sie wollten so auf das Schicksal der Geflüchteten und die menschenunwürdigen Bedingungen des Lagers hinweisen. Kellerer meinte nun, die Schriftzüge müssten entfernt werden. Die Verwaltung solle den Bauhof beauftragen. Schließlich sei man als Stadt zu politischer Neutralität verpflichtet.

Es ist die klassische rechtspopulistische Klaviatur. Diesen unsäglichen AfD-Sound hört man inzwischen auch im Stadtrat. Die Fraktionen haben Erfahrung gesammelt, wie man darauf reagiert. Stadträtin Gertrud Schmidt-Podolsky (CSU) sagte, die Verwaltung solle bloß keinen Besen in die Hand nehmen, die Schriftzüge würden niemanden stören. "Ganz im Gegenteil. Das erinnert uns daran, wie gut es uns eigentlich geht." OB Florian Hartmann (SPD) versuchte, dem AfD Stadtrat die Sorgen zu nehmen. Er sprach über das Wetter. Die Schriftzüge würden sich durch den Regen schon abwaschen, sagte er.

Bei Regen fällt einem gleich wieder der Echt-Klassiker "Weinst du" ein. Der Song beginnt so: "Unsere Liebe ist am Boden." Stadtrat Sören Schneider (SPD) hätte jedenfalls gern, dass die Schriftzüge am Boden vor dem Rathaus noch eine Weile bleiben. Er äußerte die Hoffnung, dass die Sonne noch sehr lange scheinen werde.

© SZ vom 30.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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