Mitten in Dachau:Ende im Gelände

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In Dachau Ost ist es derzeit fast unmöglich an seine Ziel zu kommen - zumindest nicht, wenn man sich an die geltenden Verkehrsregeln halten will

Von Gregor Schiegl

Ein gewisses Misstrauen gegenüber abgedroschenen Redensarten ist angebracht. So sollen schon Leute Gruben gegraben haben, in die sie nicht selbst hineingefallen sind, vor allem Bauarbeiter, die Straßen aufreißen. Das tun sie mit großem Fleiß, aber nur selten hört man, dass sie auch einen Preis dafür bekommen hätten, etwa für den schönsten Kanalschacht Oberbayerns. Auch der Satz "Alle Wege führen nach Rom" ist irreführend, wie jeder Italienurlauber bestätigen wird, der schon einmal im Kreis durch toskanische Dörfer gefahren ist.

In Dachau Ost bildet sich gerade eine neue Volksweisheit heraus, die in etwa so lautet: Wenn andere eine Grube graben, dann führt kein Weg mehr in die Erasmus-Reismüller-Straße, da hilft auch kein Fleiß. Wer von stadtauswärts kommt, zum Beispiel von der Alten Römerstraße, muss sich erst mal mit einem Reifen über den Gehweg an der Baustellenabsperrung zur Schleißheimer Straße vorbeizwängen, was Fahrschüler in der Prüfung dringend unterlassen sollten. Etwa hundert Meter weiter folgt die nächste Barrikade von Baustellenbaken. Ein Umleitungsschild lotst den Erasmus-Reismüller-Straßen-Odysseus hier in die Paula-Wimmer-Straße, die sich aber auf halber Strecke in einen Fußweg verwandelt. Wer findig ist, schwenkt nun über die Marienburger Straße in die Danziger Straße. In Homers Odyssee wäre man jetzt in Kapitel zwölf, in dem es heißt: "Hier stürmt gegen den Fuß der überhangenden Klippen / Hochaufbrausend die Woge der bläulichen Amphitrite. / Irrende Klippen nennt sie die Sprache der seligen Götter." Der prosaische Verkehrsteilnehmer nennt sie Betonpoller. Für Autos heißt das: Ende im Gelände. Doch selbst der Mopedfahrer hat keine Chance, auf diesem Weg in die Erasmus-Reismüller-Straße zu gelangen, ohne die Wächter der heiligen Straßenverkehrsordnung zu erzürnen, denn von der Danziger Straße aus darf man gar nicht in die Erasmus-Reismüller-Straße einfahren; sie ist eine Einbahnstraße.

So bleibt nur eine Umfahrung von epischen Ausmaßen, die einmal um das ganze Stadtgebiet herumführt, will man die stets verstopfte Sudetenlandstraße vermeiden. Dabei kommt man auch an der Würmmühle vorbei. Die befand sich im 18. Jahrhundert im Besitz von Erasmus Reismüller, der dort auch eine kleine Kapelle errichtet hat. Wahrscheinlich zum Dank dafür, dass ihm die Prüfung einer vom Bauamt orchestrierten Straßensperrung zeitlebens erspart geblieben ist.

© SZ vom 31.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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