Mitten in Bergkirchen:Unverzichtbar, der Azubi-Knigge

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Ein Kurs der Volkshochschule bereitet junge Menschen darauf vor, wie sie sich der modernen Arbeitswelt anpassen ohne anzuecken

Kolumne von Helmut Zeller

Der Lehrling vulgo Azubi hat es schwer. Zunehmender Flexibilisierungsdruck, regelmäßige Überstunden, Schichtdienst, Wochenendarbeit, am Feierabend mobil erreichbar sein, schlechte Vergütung - ein Drittel der befragten 14 959 Lehrlinge der 25 häufigsten Ausbildungsberufe haben die Nase voll. Da kommt es doch wie gerufen, dass sich die Volkshochschule Bergkirchen einmal der Auszubildenden annimmt. Allerdings irrt jetzt gewaltig, wer glaubt, da könnten sie sich über miese Arbeitsbedingungen, unverschämte Chefs und mobbende Kollegen austauschen, vielleicht gar eine Antwort auf die Frage finden: "Wie komm' ich hier raus?" Nichts da. Welcher Art die Antworten sind, die das ganztägige Seminar bietet, macht schon der Titel klar: "Azubi - benimm Dich!" Kann schon sein, dass manche Nachwuchskraft auf sogenannte Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit, Disziplin, Fleiß, Pflichtbewusstsein pfeift, nicht weil sie Adorno gelesen hat, demzufolge diese Tugenden den autoritären Charakter ausmachen, der nach oben buckelt und nach unten tritt. Eher wollen sich die Lehrlinge vielleicht deshalb nicht gut benehmen, weil sie nicht besonders gut behandelt werden - zumindest das schwierige Drittel, aber dem muss die sakrosankte Rangordnung eben noch eingebläut werden.

So können Lehrlinge jetzt in Bergkirchen den höflichen Umgang mit Besuchern, Kollegen, Vorgesetzten lernen; wer bietet wem zuerst die Hand an, Siezen oder Duzen, wer hält wem die Türe auf, geht auf der Treppe voraus? Auch das: "mit situationsgerechter Körpersprache Respekt signalisieren". Interessant. Vielleicht den Rücken leicht, ja, nur andeutungsweise beugen, bloß nicht zum Boden hinunter wie in wilhelminischer Zeit. Was damals für die Karriere hilfreich war, weckt heute eher Zweifel an der Durchsetzungsfähigkeit. Der aufrechte Gang jedoch könnte - gar nicht karriereförderlich - ein hohes Maß an Renitenz signalisieren. Nun soll nichts gegen gute Umgangsformen gesagt sein, zivilisiertes Verhalten baut darauf auf, nützlich ist auch der Verhaltenscheck für Betriebsfeiern - nicht dass der Azubi sich da mit Blick auf "Me too" am falschen Vorbild orientiert.

Tausende Lehrlinge fehlen den bayerischen Unternehmen, und wenn der Azubi nun in dem Seminar noch lernt, dass er korrekt gekleidet im Erstkontakt abwarten muss, bis der Ranghöhere auf ihn zugeht und die Hand ausstreckt, dann läuft es doch schon wie geschmiert - auch wenn der Lehrherr ihn einen "Deppen" nennt, was gelegentlich vorkommt. Aber der Depp kann sich auf eins stützen: Er kann sich benehmen, sofern er sich die 90 Euro Seminargebühr leisten kann und will - bei einem durchschnittlichen Lehrlingsverdienst von 751 Euro im ersten Jahr gar nicht so einfach. Gutes Benehmen hat eben auch seinen Preis.

© SZ vom 25.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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