Merkwürdig:Rätselhaftes Phänomen: Warum liegen in Dachau überall Semmeln?

Lesezeit: 2 min

Backwaren finden Passanten und Anwohner der Unteren und der Oberen Stadt in Dachau vor. (Foto: Toni Heigl)

Dass Semmeln, Brezen und Äpfel den Weg von der Martin-Huber-Straße bis in die Altstadt säumen, gibt Rätsel auf.

Von Anna-Elisa Jakob, Dachau

Eine Weizensemmel auf dem Stromkasten, das Pendant aus Vollkorn vor dem nächsten Hauseingang, eine Breze auf dem Gartentor: Wer am Montag entlang der Martin-Huber-Straße spazierte, konnte einer Spur aus Backwaren folgen, die sich in der Ludwig-Thoma-Straße fortsetzte und bis in die Altstadt reichte. Den meisten Passanten schien das glutenhaltige Arrangement kaum ins Auge zu fallen, eine Anwohnerin reagierte überrascht, als sie auf die fünf Semmeln vor ihrer Haustür - Weizen und Dinkel gemischt - angesprochen wurde. Lust zum Verzehr erweckten die trockenen Stücke bei ihr nicht, als Deko erschienen sie ungeeignet und wanderten zur Hausrückseite, auf den Kompost.

Als Erklärung für dieses Phänomen kommen diverse Möglichkeiten infrage, keine unmöglich, alle jedoch bedingt plausibel. Gibt es einen ambitionierten Vogelschützer, der hier hochwertiges Futter an seine Schützlinge verteilen möchte? Aus Gründen der Fairness gut über die Stadt hinweg verteilt, aus Gründen der abwechslungsreichen Ernährung mit einer breiten Produktpalette - warum die Semmeln aber im Ganzen gelassen wurden, dafür finden sich keine Gründe. Vielleicht, damit verschiedene Arten als gemeinsames soziales Erlebnis miteinander auf den Backwaren herumpicken können? Das bleibt reine Spekulation.

Könnte es ein Protest sein?

Der Betrachter eines unerklärlichen Phänomens erhofft sich selbstverständlich einen tieferen Sinn hinter seiner Beobachtung. Könnte es ein Protest sein? Zumal jetzt auch noch zwei Äpfel auftauchen. Gar ein politisches Statement?

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(Foto: Toni Heigl)

Ungewöhnliche Arrangements aus Äpfeln...

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(Foto: Toni Heigl)

...und Backwaren finden Passanten und Anwohner der Unteren und der Oberen Stadt in Dachau vor.

Eine Aktion kommt in den Sinn, die in den letzten Jahren an diversen Orten für Aufruhr gesorgt hat: das sogenannte Containern. Hier wird Essen aus den Müllcontainern der Supermärkte geklaubt oder - geht es nach Inhabern und Justiz - geklaut. Im Nachbarlandkreis Fürstenfeldbruck gerieten zwei Studentinnen im vergangenen Jahr in den Fokus der Öffentlichkeit, sie wurden von der Polizei beim Durchforsten der Müllcontainer eines Supermarktes erwischt und für dieses Vergehen vor Gericht gestellt. Zunächst forderte die Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe in Höhe von 1200 Euro aufgrund von besonders schwerem Diebstahl. Den Vorwurf ließ sie fallen, nun geht es für die beiden um jeweils acht Stunden gemeinnützige Arbeit bei der Tafel. Doch auch dagegen wehren sich die Studentinnen, das Verfahren läuft noch. Die beiden wollen Containern legalisieren, starteten eine Online-Petition und halten ihre Unterstützer auf ihrem Blog auf dem Laufenden.

"Könnte das nicht unser Semmelmann sein?"

Ob dieser politische Kampfgeist auch hinter der Dachauer Obst- und Semmelstraße steckt? Wer sich im Zickzack von Semmel zu Breze zu Apfel hechtet, fühlt sich bald selbst wie Hänsel oder Gretel im gleichnamigen Märchen. Oder - vielleicht lieber - wie Sherlock Holmes, der an das Ende und hinter das Geheimnis der Fressalien kommen möchte.

Auf dem Weg liegt die Bäckerei Eder. Gibt es einen Zusammenhang? Konditormeister Hans-Jürgen Eder versichert, aus seinem Betrieb stammten die Semmeln nicht. Sieht eher nach Aufbackware aus. Doch dann fällt ihm etwas ein: "Könnte das nicht unser Semmelmann sein?", fragt er in die Backstube. Ab und zu käme ein Kunde vorbei, der gerne eine trockene Semmel auf den Tresen lege - als Geschenk. "Sehr nett, ein wenig spirituell", beschreibt ihn der Konditormeister. Die Semmeln stammten vermutlich aus dem Müll, ein politisches Statement stecke aber nicht dahinter.

Die Semmeln und Äpfel in Dachau sind also keine Vorboten für den Aufmarsch aktivistischer Studentenbewegungen - sondern vielmehr eine nette Geste. Den inneren Sherlock Holmes lässt die Lösung des Falls mit gemischten Gefühlen zurück: Nette Geschichte, aber für einen Kreisstadtkrimi reicht es doch eher nicht.

© SZ vom 30.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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