Menschenrechte und Rassismus:Alltägliche Feindseligkeit

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Geflüchtete berichten bei einem Filmabend des Vereins "Runder Tisch gegen Rassismus Dachau" mit dem Kreisjugendring und Gedenkstättenpfarrer Björn Mensing darüber, wie sie aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert werden

Von Tom X. Hackbarth, Dachau

70 Jahre nach Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen hat der Verein "Runder Tisch gegen Rassismus Dachau" zusammen mit Robert Philipsberg vom Kreisjugendring Dachau und Gedenkstättenpfarrer Björn Mensing als Moderatoren zum Filmgespräch ins Cinema Dachau eingeladen, um die Achtung und Einhaltung der Menschenrechte zu würdigen - aber auch um auf die immer noch allgegenwärtigen schweren Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen.

Wie stark man auch in Dachau heute noch Rassismus zu spüren bekommt, erzählen Moudou Sylla und Bakary Diakite. Sie kamen 2015 von Mali nach Deutschland und wohnen seit November 2015 in der Containerunterkunft an der Lilienthalstraße. Sylla erzählt, dass sie sehr gerne hier wohnen möchten, aber manchmal Angst bekommen. Vor allem die Blicke, die sie spüren, wenn sie in einer Gruppe unterwegs sind, belasten die beiden Geflüchteten. "Ich erzähle nur eine Geschichte, ich kann nicht alle erzählen", sagt Diakite und berichtet von einer dieser Auseinandersetzungen, die er oft erlebe: Ein Fahrkartenkontrolleur will nicht nur seine Fahrkarte, sondern auch seinen Ausweis sehen. Und das, obwohl dies bei keinem anderen Passagier erfragt worden sei. Als Diakite sich weigert, habe er vom Kontrolleur gehört: "Ich hasse einfach schwarze Leute." Der Konflikt sei dann erst am Dachauer Bahnhof durch die Polizei geregelt worden.

Der Kinosaal füllt sich langsam im Dachauer Cinema. (Foto: Toni Heigl)

Sie berichten aber auch von guten Erfahrungen. Von fremden Menschen, die ihnen zur Hilfe eilen. Und von der Arbeit in einem internationalen Umfeld, mit einem Chef, der alles dafür tun würde, damit sie in Deutschland bleiben können. "Immer wenn man hier Hilfe braucht, habe ich sie auch bekommen", sagt ein Freund von Moudou und Bakary aus dem Publikum. Er erzählt auch, wie er mit dem Thema Rassismus erst bei seiner Ankunft in Deutschland konfrontiert worden sei. Aus seiner Heimat Mali kenne er das gar nicht. Für ihn sei es unverständlich, wie Menschen Angst bekommen, wenn er mit Freunden nur spazieren geht. "Wo fängt das an? Wo findet man diese Wurzel, um sie herauszureißen", fragt er das Publikum.

Die Antwort darauf liegt für Modupe Laja in einem Bewusstseinswandel in Deutschland. Leute mögen sich zwar verschließen und meinen, dass es "so was wie Rassismus" hier nicht gebe, aber die Erfahrungen der Gesprächspartner an diesem Abend alleine zeigen, dass Rassismus allgegenwärtig ist. Und das reiche von nachgewiesenem institutionellen Rassismus, den man fast täglich am Münchner Hauptbahnhof beobachten könne, wenn Menschen mit schwarzer Hautfarbe beim sogenannten "Racial Profiling" vermehrt von der Polizei kontrolliert werden, so Laja, bis hin zum ganz offenen oder sogar gewalttätigen Rassismus, von dem auch Bakary Diakite und Moudou Sylla an diesem Abend sprachen. Dieser Wandel sei durch den "Aktionsplan gegen Rassismus" der Bundesregierung schon auf den richtigen Weg geleitet worden, müsse aber weiter geführt werden, besonders auch in der Sprache. Der Begriff "Rasse" an sich habe keine wissenschaftliche Grundlage mehr, wird in der Gesellschaft aber trotzdem oft verwendet, allerdings nur zur Abgrenzung.

Am Montag hat der Runde Tisch gegen Rassismus Dachau zum 70. Jubiläum der Menschenrechte die politische Dokumentation "I Am Not Your Negro" gezeigt. (Foto: Toni Heigl)

Begleitet wird die Veranstaltung von einer Filmvorführung: Martin Luther King, Malcolm X, Medgar Evers. Sie alle haben sich für die Bürgerrechte der afroamerikanischen Bevölkerung der USA eingesetzt, sie alle wurden im Zuge der von ihnen gestarteten Bewegungen bei Attentaten ermordet, und sie alle hatten einen gemeinsamen Freund: den sozialkritischen Schriftsteller James Baldwin. Er hinterließ vor seinem Tod 1987 ein Manuskript mit dem Titel "Remember This House", in dem er seine persönlichen Erinnerungen an die drei großen Bürgerrechtler mit seinen eigenen Erfahrungen als Schwarzer in den USA verbindet. In "I Am Not Your Negro" wird diese Geschichte auf der Leinwand fortgeführt. Regisseur Raoul Peck spannt bei seinem Dokumentarfilm einen Bogen von dieser sehr persönlichen US-Kulturgeschichte bis in die Gegenwart. Die Szenen, die Baldwin beschreibt, sind lange her, doch könnten aktueller nicht sein. "What's gonna happen to this country?", was wird nur aus diesem Land?, fragt der Schriftsteller zu Beginn des Films. Die Kinoleinwand zeigt nicht mehr James Baldwin, wie er in einer Talkshow gerade eine Zigarette raucht, sondern Bilder der Demonstrationen gegen rassistische Polizeigewalt von 2014 in Ferguson. Später sieht man die Porträts einiger Jugendlicher, die in den USA durch rassistische Angriffe umkamen. Einige von ihnen sind erst nach der Jahrtausendwende geboren.

Kann man die Situation in Dachau mit den Verhältnissen in den USA vergleichen? "Es ist nicht so gravierend wie im Film", sagt Moudou Sylla, "es ist ein anderer Rassismus." Auch in Deutschland gebe es eine Geschichte mit Menschen afrikanischer Herkunft, erklärt Modupe Laja von der "Initiative Schwarze Menschen in Deutschland", die nach der Vorstellung Publikumsfragen beantwortet. "Um Rassismus zu verstehen, ist es wichtig in die Vergangenheit zu schauen, damit sich Geschichte nicht wiederholt", sagt Modupe Laja und verweist auf Verbrechen an afrikanischen Menschen als Teil deutscher Kolonialgeschichte bis Ende des ersten Weltkrieges und in der Zeit danach im Nationalsozialismus. Eine Geschichte von Menschenrechtsverletzungen, die anhält, so Laja, denn im Jahr 2018 ist das "Mittelmeer zum Massengrab geworden" und "jeder zehnte Wähler hat in Deutschland eine rechtspopulistische Partei gewählt."

Bakary Diakite (links) und Moudou Sylla leben seit 2015 in Dachau. Nach der Kinovorstellung erzählten sie von ihren Erfahrungen mit Rassismus. (Foto: Toni Heigl)

Wie resümierte James Baldwin: "Nicht alles, dem man sich stellt, kann auch verändert werden. Aber nichts kann verändert werden, wenn man sich ihm nicht stellt."

© SZ vom 12.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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