Mehr Parteibücher:Politisches Engagement wächst

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Das Bundestagswahljahr 2017 hat den Orts- und Kreisverbänden der Parteien im Landkreis neue Mitglieder gebracht. Besonders die Wahlgewinner FDP und AfD legen zu. Aber auch CSU, Grüne und SPD bemerken Aufbruchstimmung

Von Christiane Bracht, Dachau

Neue Mitglieder zu gewinnen, ist nicht leicht. Das wissen alle Vereinsvorstände - auch die der Parteien. "Das Durchschnittsalter steigt", klagt etwa der CSU-Kreisvorsitzende Bernhard Seidenath. Auch sein Kollege Martin Güll (SPD) hat festgestellt, dass es in den vergangenen Jahren mühsamer geworden ist, engagierten Nachwuchs zu finden. Doch das Blatt scheint sich 2017 gewendet zu haben: "Die Leute werden politischer", jubiliert Christian Ludwig Stangl von der FDP. Er freut sich über mehr als 20 neue Mitglieder. Die Liberalen spüren den Aufwind: "Vor vier Jahren lag die FDP in Trümmern. Wir haben lange gebraucht, um da herauszukommen", sagt Stangl. Jetzt steht sogar die Gründung von zwei neuen Ortsverbänden an in Karlsfeld und Petershausen. Einmal wieder 55 Mitglieder zu haben, daran hatten die Liberalen in Dachau schon nicht mehr geglaubt. Aber es ist nicht nur die FDP, die vom neuen Interesse an der Politik profitiert, allen Parteien im Landkreis hat dies neue Mitglieder beschert - auch der Alternative für Deutschland (AfD).

Wer den meisten Zulauf hat

Die meisten Mitgliedsanträge haben jedoch CSU-Anhänger unterschrieben: insgesamt 57. In den Vorjahren bekannten sich nur jeweils deutlich unter 40 für die Partei, 2016 sogar nur 24. Bei der SPD haben sich im vergangenen Jahr etwa 20 für das rote Parteibuch entschieden. Die Grünen haben ebenfalls viel Zuspruch bekommen: Sie können jetzt auf 15 Aktive mehr zurückgreifen als noch vor zwei Jahren. Jetzt sind es 70 Grüne im Landkreis Dachau. Erst vor kurzem hat sich in Karlsfeld ein neuer Ortsverband gegründet, in Markt Indersdorf und Petershausen sind noch neue in Planung.

Florian Jäger (AfD). (Foto: Florian Peljak)

Auch die AfD erstarkt. "Mit dem Einzug in den Bundestag haben wir einen deutlichen Schub bekommen", sagt Florian Jäger vom Kreisvorstand Dachau-Fürstenfeldbruck. Der Olchinger verpasste im September als Bundestagskandidat recht knapp den Einzug. Wie viele 2017 genau hinzukamen, kann er noch nicht sagen. "Die Anträge liegen noch in der Bearbeitungsschleife. Der Bundesverband in Berlin kommt nicht nach." Seine Erklärung: "Wir haben strenge Aufnahmekriterien. Mit jedem einzelnen führen wir Gespräche und überprüfen, ob er vorher in einem extremistischen Verein war", sagt Jäger. Die "Unvereinbarkeitsliste" sei lang. Darauf stehen alle verbotenen Vereinigungen, sowie jene, die vom Bayerischen Verfassungsschutz beobachtet werden, auch NPD und die in ihr aufgegangene DVU. Bis zur Aufnahme in die AfD dauert es derzeit etwa ein Vierteljahr, sagt Jäger. Fünf Interessierte habe der Kreisverband heuer schon abgelehnt, einer sei über die Probemitgliedschaft nicht hinausgekommen. Vier Wochen lang nämlich muss sich jeder Neue bei der AfD bewähren, bevor er ein vollwertiges Mitglied werden kann, erklärt Jäger. Die Angst, von verbotenen Organisationen aus dem ultrarechten Spektrum unterwandert und dann selbst verboten zu werden, ist offenbar groß. Schuld sind laut Jäger die "Medien". "Sie schreiben uns in die rechte Ecke, in die Nähe von NPD und ähnlichen Organisationen", klagt Jäger. Das locke Sympathisanten an, die sich nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes bewegten.

Unzufriedenheit mit Angela Merkel

Christian Ludwig Stangl (FDP). (Foto: oh)

Mehrere 100 Mitgliedsanträge seien derzeit bayernweit in Bearbeitung, sagt Jäger. Die meisten Antragsteller waren demnach vorher in keiner Partei. Aber es gebe auch ehemalige CSU-Wähler, die sich nun für die AfD entschieden haben. Hauptgrund sei die Unzufriedenheit mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, der "jahrelang an ihrer Leine gegangen ist. Das hat nichts mit dem Mia-san-mia-Gefühl in Bayern zu tun", erklärt Jäger. Etwa 150 Mitglieder hat der Kreisverband in beiden Landkreisen nun. Die anderen Parteien geben jeweils nur die Mitglieder für den Landkreis Dachau an. Die steigende Zahl wirkt sich auch positiv auf die Parteienfinanzierung aus.

Marese Hoffmann (Grüne) (Foto: Niels P. Joergensen)

Die Unzufriedenheit mit Merkels Führungsstil nennt auch die FDP als Hauptbeweggrund für das neue Engagement für die Liberalen im Landkreis Dachau. Entgegen aller Vermutungen hat der Abbruch der Jamaika-Koalitionsgespräche der Partei nicht geschadet. Im Gegenteil: Danach kamen noch mehr Mitgliedsanträge, so Stangl. Geholfen habe auch die Weltpolitik: Wer sehe, was in den USA, der Türkei oder Russland passiere, der wisse, dass es nicht mehr so selbstverständlich ist, eine Demokratie zu haben.

Verantwortung übernehmen

Bernhard Seidenath (CSU). (Foto: Toni Heigl)

Auch Marese Hoffmann, Kreisvorsitzende der Grünen, spürt einen neuen Wind in der Partei: "Die Bereitschaft, nicht mehr nur ideologisch zu denken, sondern pragmatisch, ist jetzt viel ausgeprägter." Es gehe nicht mehr nur um Debatten, die Neuen wollten etwas tun. Das liege wohl auch am Alter. Viele seien Mitte 20. Auch bei der FDP sind die Neuen laut Stangl "kein klassisches FDP-Klientel" mehr, sondern junge Leute ab Mitte 20, die "Verantwortung übernehmen wollen".

Die SPD verzeichnete die meisten Neumitglieder bereits Anfang 2017, als Martin Schulz als neuer Parteivorsitzender "mit seinem Charisma einen regelrechten Hype ausgelöst" hatte, wie Martin Güll sagt. Dieser ist zwar schnell abgeebbt, aber "es war eine Initialzündung", die einige Anhänger angelockt habe. Ausgetreten sei bislang keiner, sagt der Kreisvorsitzende schmunzelnd. Die SPD hat im Landkreis Dachau derzeit etwa 500 Mitglieder.

Die letzte verbliebene Volkspartei

Weit übertroffen werden sie allerdings von der CSU. Knapp 1420 Parteifreunde zählt Bernhard Seidenath im Landkreis. "Wir sind die letzte verbliebene Volkspartei", sagt er im Brustton der Überzeugung. Aber auch diese braucht einen Anstoß, damit die Menschen ein Mitgliedsformular unterschreiben und nicht nur ein Kreuzchen setzen. Vom Schulz-Effekt habe auch seine Partei profitiert, sagt Seidenath. "Wenn Schulz der SPD so viele Mitglieder bringt, dann komme ich zu euch", hätten einige gesagt. Ansonsten seien die Eintritte über das ganze Jahr verteilt gewesen - "ein homogenes, gesundes Wachsen", so Seidenath. 27 Austritte hatte die CSU allerdings auch zu verschmerzen, muss der Kreisvorsitzende zugeben. Etwa der Alleingang von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt bei der Abstimmung über die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat hat einen CSUler dazu bewogen, sein Parteibuch abzugeben. Ebenso die Straßenausbaubeitragssatzung, sagt Seidenath. Wegen Markus Söders Ambitionen, Ministerpräsident zu werden, habe bislang jedoch keiner die Mitgliedschaft hingeschmissen.

© SZ vom 09.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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