Markt Indersdorf:Großer Thriller im kleinen Format

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Das Indersdorfer Papiertheater bringt den Filmklassiker "Der dritte Mann" in einer adaptierten Version auf die Bühne. Die Laientruppe betritt mit dem Stück ein bisher unbekanntes Terrain - die Thematik eröffnet neue Möglichkeiten

Von Robert Stocker, Markt Indersdorf

Cinéasten kennen diese berühmte Szene: Der abgebrannte amerkanische Autor Holly Martins sitzt mit seinem Jugendfreund Harry Lime in einer Gondel des Riesenrads im Wiener Prater. Es ist die Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg, die Stadt ist in fünf Zonen eingeteilt. Lime treibt einen kriminellen Handel mit Penicillin. Er verteidigt seine Machenschaften gegenüber dem Jugendfreund. Sie streiten, die Situation droht zu eskalieren. Einer der beiden Männer könnte gleich aus der Gondel stürzen. Spannung pur. Joseph Cotten und Orson Welles spielen das grandios.

Die Schlüsselszene aus Carol Reeds Filmklassiker "Der dritte Mann" ist auch in der Adaption des Filmstoffes zu sehen, den das "Theatrum Augustinum" für seine Miniaturbühne bearbeitet hat. Vielleicht nicht ganz so eindringlich wie bei Cotten und Welles, aber durchaus auch ein wenig dramatisch. Holly Martins und Harry Lime haben hier andere Namen. Und sie sind Figuren aus Papier, denen Sprecher Stimmen verleihen. Die Figuren huschen über die Bühne, manche sind dank einer filigranen Technik beweglich. In der Version des Indersdorfer Papiertheaters heißt das Stück "Wer war der vierte Mann?" Die neue Produktion des Laien-Ensembles kommt Ende Februar auf die Bühne im Schneiderturm.

Die Kulissen des Papiertheaters sind eine Kunst für sich. Die Szenenbilder zeichnen sich durch eine filigrane Gestaltung aus. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Stück lehnt sich an den Filmklassiker aus dem Jahr 1949 an, übernimmt auch seinen roten Faden. Es setzt sich aus sechs Bühnenbildern zusammen, zu denen neben dem Wiener Prater auch der Flughafen Schwechat oder die Kanalisation im Untergrund der Stadt gehören. Der ehemalige Indersdorfer Chefarzt Rasso Kaut, der das "Theatrum Augustinum" mit seiner Frau Barbara gründete, hat das Stück frei nach Graham Greene bearbeitet. Die Texte der Rollen wurden umgeschrieben, der Ablauf der Handlung wurde verändert. "Wir lehnen uns an das Buch von Graham Greene an, aber das Stück ist kein Plagiat des dritten Manns", sagt Kaut. Für den Spiritus Rector des Papiertheaters ist es ein sehr interessanter Stoff, der die Grenzen von Freundschaft und Loyalität aufzeigt, wenn es um kriminelle Verwicklungen geht.

Bisher befasste sich das Indersdorfer Papiertheater mit heiteren Stücken. Zum Repertoire gehörten "Der Freischütz", "Die Zauberflöte", "Der Kalif von Bagdad" und "Die Fledermaus". Mit der Adaption des Thrillers bricht das Ensemble zu neuen Ufern auf. "Wir wollten uns auf neues Terrain wagen", sagt Barbara Kaut, "diese Thematik eröffnet neue Möglichkeiten". Bei den bisherigen Stücken war die Musik ein wichtiges Element - kein Wunder bei Opern und Operetten. Auch bei der neuen Produktion ist Musik zu hören, darunter die legendären Zitherklänge aus dem Film.

Rasso Kaut bearbeitete das neue Stück, spricht zwei Rollen und schiebt die Figuren hinter der Bühne. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Ein Jahr lang arbeitet das Ensemble an einem Stück, bis es aufgeführt werden kann. Textbuch, Figuren, Kulissen, Musik - zu einer Produktion gehören viele Puzzleteile. Das Ehepaar Kaut und seine Mitstreiter haben es sich zum Ziel gesetzt, die Tradition des historischen Papiertheaters zu bewahren. Diese Kunstform hat ihre Wurzeln in Norddeutschland, in Dänemark erlebt sie jetzt eine Renaissance. Ihre Blütezeit war das Biedermeier. Das Papiertheater war das Fernsehen jener Zeit: Oper und Theater kamen ins Haus. Wer sich die Kosten für die große Kultur nicht leisten konnte, stellte im Wohnzimmer eine kleine Bühne auf. Eine Unterhaltung, die günstig zu haben war. "Das Papiertheater ist faszinierend", sagt Barbara Kaut. "Es zieht mit einfachen Mitteln die Zuschauer in den Bann und regt ihre Phantasie an." Sicher sei es eine Nischenkunst, die junge Leute nicht vom Internet oder Fernsehen weglocken könne. "Aber viele lieben es." So wie Barbara und Rasso Kaut. Sie hoffen, dass das Indersdorfer Papiertheater eine Zukunft hat und junge Leute diese Tradition weiterführen. "In München gibt es kein Papiertheater, wir wollen, dass es sich weiter verbreitet", sagt Barbara Kaut.

Fünf Proben mit acht Sprechern sind für das neue Stück nötig. Sie finden im Privathaus des Ehepaars statt, wo derzeit die Bühne aufgebaut ist. Ein Prunkstück, vom Indersdorfer Schreiner Hans Haschner gezimmert, der auch Sprecher für zwei Figuren ist und für die Lichttechnik verantwortlich zeichnet. Im nächsten Jahr will das Indersdorfer Papiertheater die Operette "Die Banditen" von Jacques Offenbach spielen. Zu den Aufführungen könnte es auch eine Ausstellung im Augustiner Chorherren Museum geben. Barbara Baumann aus Altomünster besitzt eine riesige Sammlung von Figuren und Bühnenbildern, die derzeit im Museum Altomünster zu sehen ist. "Die könnte man auch in Indersdorf zeigen", sagt Rasso Kaut.

Mit Sowjet-Flagge: Auch diese Kulisse gehört zur Ausstattung. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Indersdorfer Papiertheater führt das Kriminaldrama "Wer war der vierte Mann?" am Freitag, 26. Februar und Samstag, 27. Februar jeweils um 19 Uhr im Schneiderturm auf. Von 18 Uhr an Empfang mit einem Glas Prosecco. Karten bei der VHS Indersdorf, Tel. 08136 / 938835 oder 08136 / 8068744. Der Eintritt ist frei, Spenden sind ausdrücklich erwünscht. Die Figuren und ihre Sprecher: Miss Middleton (Wibke von Beust), Andrew Miller (Klaus Hochgesand), Major Callagan (Gerhard Einhäuser), Henry Cotton (Rasso Kaut), Anna Schneider (Sybille Schiller), Kohlmeisel (Hans Haschner), Anuschka (Helga Schütte), Polizist (Barbara Kaut), Zeitungsverkäufer (Sybille Schiller), Nachbarin (Helga Schütte), Dr. Hitzler (Gerhard Einhäuser), Franz Curtius (Hans Haschner), Baron Liprowski (Rasso Kaut). Licht- und Bühnentechnik: Hans Haschner, Hans Jürgen Schulmayr. Tontechnik: Thomas Rembt, Gerhard Einhäuser.Figurenschieber: Barbara Kaut, Helga Schütte, Rasso Kaut.

© SZ vom 21.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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