Lyrik:Noch ein Gedicht

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Michael Groißmeier überrascht nach seinen Haikus mit einem wohl wirklich allerletzten Lyrik-Band. Streng im Aufbau, voller Todesmetaphorik aber auch selbstironisch

Von Gregor Schiegl, Dachau

Eigentlich hatte Michael Groißmeier sein Oeuvre bereits abgeschlossen. Der Gedichtband, den der Dachauer Lyriker im vergangenen Jahr vorgelegt hat, sollte der letzte sein, sein "Opus ultimo", wie er der SZ sagte. Was sollte man einem Band, der den Titel "Die Gänze des Lebens" trägt, auch noch hinzufügen? Groißmeier ist 84 Jahre alt, irgendwann ist es genug. Aber jetzt noch nicht ganz. Jetzt hat er doch noch mal einen Band nachgeschoben, und diesmal ist es wohl wirklich sein letztes, sein allerletztes Buch, das sieht man schon am Umschlag.

Statt idyllischer Naturmotive, Blumen, Bäumen oder treibender Blätter, zeigt es eine düstere Kammer, am Boden liegen verstummte Musikinstrumente, auf einem Tischchen neben einer erloschenen Öllampe liegen ein Totenschädel und menschliche Gebeine, der mit schwarzem Leder bezogene Stuhl ist leer, pastöse Jenseitigkeitsmetaphorik und dazu ein Titel, der wie ein letztes Innehalten auf der Schwelle zum Tode klingt: "Noch ist die Hand mir lebenswarm."

Diese Zeile findet sich in seinem Gedicht "Lebenswarm" wieder, in der das Geigenspiel dem alten Mann die kalten Hände wärmt. Groißmeier spielt selbst Geige, auch wenn er immer wieder selbstironisch anmerkt, wie unzulänglich sein Spiel sei, wie er Mozart im wahrsten Sinne des Wortes "vergeigt". Umso mehr Musikalität findet sich in seiner Sprache. Groißmeier ist ein Dichter der alten Schule. Seine Gedichte sind streng durchkomponiert. Mal sind es Sonette im Stile des elisabethanischen Zeitalters, mal orientiert er sich am Madrigal oder er übt sich an Ghaselen, einer Versform aus der persischen Lyrik, die auch schon Goethe versuchte zu adaptieren, ohne damit allerdings recht glücklich zu werden.

Schon in früheren Bänden hat sich Michael Groißmeier intensiv mit der Vergänglichkeit auseinandergesetzt. Im Grunde hat er das schon immer getan, denn die Naturbetrachtungen, die er in kunstvolle Verse packt, dienten nie einer bukolischen Zerstreuung. In ihr offenbarte sich ihm erst das Wesen der Welt, des Seins und des menschlichen Lebens, des Werdens und Vergehens.

Schon sein erstes Gedicht im neuen Band, ein flotter Vierzeiler mit dem Titel "Sic!", reflektiert das in ironischem Ton: "Allzeit die Dichter haben / nach purem Gold gegraben / und stocherten doch nur / Im Abfallhaufen der Natur."

Allerdings spürt man, dass die Schatten des Todes, die auch früher schon über die Seiten strichen, dunkler geworden sind, dinglicher, konkreter, ja, greifbarer. "Dir fällt das Haar aus, der Schädel wird beinern / Du spürst schon den Garaus / Dein Herzen klumpt steinern." Und der lyrisch verbrämte Titel "Charons Nachen", wird am Ende schonungslos dechiffriert als etwas, das "nichts anderes / als eine ordinäre Truhe ist". An anderer Stelle dichtet er von der "Auseinandersetzung mit Gartenerde" - die er selbst bald sein wird. Groißmeier hat seinen Witz nicht verloren, aber man merkt seinen Zeilen das Ringen um den richtigen Ton an, um das richtige Wort, um die richtige Haltung. "Was man verkennt / Als Altersweisheit und / Den Höhepunkt des Schaffens nennt / Ist nur ein Angstschrei stumm aus altem Mund!"

Vieles, was Groißmeier schreibt, ist beklemmend in seiner Unverblümtheit, aber auch stark und intensiv. Menschen, denen es gerade nicht so gut geht, ist diese Lektüre nur bedingt zu empfehlen. Man muss diese Sätze auch aushalten können. Allen anderen bietet es eine anregende Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit und auch mit den damit verbundenen Ängsten. Michael Groißmeiers letzte Worte aus dem Gedicht "Schlittenfahrt" stimmen optimistisch: "Heiter wird die Himmelfahrt!"

Michael Groißmeier: Noch ist die Hand lebenswarm. Allitera Verlag 2019, 158 Seiten, 14 Euro.

© SZ vom 02.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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